Robinson Crusoe (Illustrierte Ausgabe) - Defoe, D: Robinson Crusoe (Illustrierte Ausgabe)
dasaß, bemerkte ich, daß die Flut eintrat und damit meine Abreise für viele Stunden unmöglich gemacht war. Dabei fiel mir plötzlich ein, daß es praktisch wäre, die höchste Stelle des Ufers, die ich finden könnte, zu ersteigen, um den Einfluß der Flut auf die verschiedenen Strömungen zu beobachten und zu sehen, ob es nicht möglich sei, daß ich, wenn ich von der einen Seite abgetrieben würde, durch eine andere Flutrichtung wieder von derselben Strömung zurückgerissen werde. Dieser Gedanke war nicht sobald in mir aufgestiegen, als ich auch schon einen kleinen Hügel ins Auge faßte, der eine hinreichend weite Aussicht nach beiden Seiten gewährte. Von dort konnte ich die Strömungen sowie die Flutrichtung deutlich übersehen und danach bestimmen, wie ich meinen Rückweg einzurichten habe. Ich fand denn auch, daß die während der Ebbe vorherrschende Strömung dicht an der Südspitze der Insel entsprang, während die Flutströmung von der Nordküste ausging. Demnach hatte ich also Nichts zu tun, als mich auf meinem Rückwege immer an der Nordseite zu halten, dann mußte die Fahrt gelingen.
Ermutigt durch diese Beobachtung, beschloß ich am folgenden Morgen mit Eintritt der Ebbe aufzubrechen. Ich übernachtete in meinem Canoe, indem ich einen der früher erwähnten warmen Überröcke zur Decke nahm, und stach am nächsten Morgen in See. Zunächst fuhr ich eine Strecke geradeaus nach Norden, bis ich anfing die Wirkung der östlichen Strömung zu empfinden, die mich mit großer Schnelligkeit vorwärts brachte, ohne jedoch mich so zu überwältigen, wie die Strömung an der Südseite getan, die mich aller Gewalt über mein Fahrzeug beraubt hatte. Mit meinem Ruder steuernd, eilte ich jetzt sehr schnell auf das Wrack los und hatte es in weniger denn zwei Stunden erreicht.
Es war ein trauriger Anblick, der sich mir hier darbot. Das Schiff, seiner Bauart nach ein spanisches, saß fest eingekeilt zwischen zwei Klippen. Das Verdeck war bis zur Mitte des Schiffes von den Wellen zertrümmert, das Vorderteil aber hing auf den Felsen und war mit solcher Gewalt auf dieselben gestoßen, daß der Haupt und Fockmast dem Bord gleichgemacht, das heißt kurz abgebrochen waren. Das Bugspriet war noch unversehrt und der Schiffsschnabel wie die nächstgelegenen Schiffsteile schienen noch ganz fest zu sein. Als ich mich näherte, erschien ein Hund auf dem Schiffe, der, als er meiner ansichtig wurde, bellte und heulte. Als ich ihn rief, sprang er ins Wasser, um zu mir zu schwimmen. Ich nahm ihn in das Boot, fand ihn aber schon halbtot vor Hunger und Durst. Als ich ihm ein Stück Brot bot, fraß er es wie ein gieriger Wolf, der vierzehn Tage lang im Schnee geschmachtet hat, auf. Hierauf gab ich dem armen Tier etwas frisches Wasser, woran es, wenn ich es gelitten hätte, sich tot getrunken haben würde. Alsdann ging ich an Bord. Das Erste, was ich hier erblickte, waren zwei ertrunkene Männer, die in der Küche oder dem Vorderverdeck lagen und sich fest umschlungen hielten. Hieraus schloß ich, was auch das Wahrscheinlichste war, daß, als das Schiff aufgestoßen war, der Sturm die Wellen mit solcher Gewalt und so unaufhörlich über dasselbe hingejagt habe, daß die Leute es nicht hätten aushalten können und in dem fortwährend überströmenden Wasser ebenso erstickt wären, als ob sie ganz unter Wasser gelegen hätten. Außer dem Hunde befand sich nichts Lebendes auf dem Schiffe. Die sämmtliche Ladung war vom Wasser verdorben. Einige Fässer mit Getränken, ob Wein oder Branntwein wußte ich nicht, lagen unten in dem Vorratsraume. Ich konnte sie bei dem niedrigen Wasserstande sehen, aber sie waren zu groß, als daß ich mich mit ihnen hätte befassen können. Auch einige Kisten sah ich, die den Matrosen gehört zu haben schienen. Von diesen brachte ich zwei, ohne zuvor ihren Inhalt zu untersuchen, in mein Boot.
Hätte das Schiff hinten fest gesessen und wäre das Vorderteil abgebrochen gewesen, so wäre meine Reise, wie ich überzeugt bin, sehr gewinnreich gewesen. Denn nach dem, was ich in den beiden Kisten fand, mußte ich annehmen, daß das Schiff große Reichtümer an Bord hatte. Nach dem Cours, den es eingehalten, mußte es von Buenos Ayres oder dem Rio de la Plata in Südamerika über Brasilien nach der Havanna und von dort nach dem mexikanischen Meerbusen und weiter vielleicht nach Spanien bestimmt gewesen sein. Es barg ganz sicher große Schätze, aber jetzt waren sie Niemandem etwas nütze. Was aus der übrigen
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