Robinson Crusoe (Illustrierte Ausgabe) - Defoe, D: Robinson Crusoe (Illustrierte Ausgabe)
gebrochen und eine Art von Gegenstrom hervorgebracht hatten, das Mittel zu meiner Rettung aus der verzweifeltsten, hoffnungslosesten Lage, in der ich mich in meinem ganzen Leben befunden, geworden. So wird oftmals das, was dem Einen zum Heile dient, dem Anderen zum Verderben. Wie es schien, waren die Leute in jenem Schiffe, wer sie auch sein mochten, in diesen Gewässern unbekannt und deshalb in der Nacht von dem starken, aus Ost und Ostnordost wehenden Winde auf die gänzlich unter Wasser liegenden Klippen getrieben worden. Hätten sie die Insel gesehen, was wahrscheinlich nicht der Fall war, so würden sie, das nahm ich wenigstens an, versucht haben, sich mit Hilfe ihres Bootes an die Küste zu retten. Ihre Notschüsse aber, besonders seit sie, wie ich vermutete, mein Feuer gesehen hatten, gaben mir mancherlei zu denken. Anfangs glaubte ich, die Leute seien, als sie mein Licht erblickten, in ihr Boot gestiegen und auf die Insel zugesteuert, aber durch die sehr hochgehende See verschlagen worden. Dann sagte ich mir wieder, sie könnten ja auch ihr Boot schon früher eingebüßt haben, wie das auf mancherlei Weise möglich war, z. B. durch die über das Schiff schlagenden Sturzwellen, die es für die Seefahrer oft nötig machten, das Boot zu zerhauen oder auseinander zu nehmen, oder es gar eigenhändig über Bord zu werfen. Zuweilen vermutete ich wieder, sie hätten vielleicht ein anderes Schiff oder mehre in ihrer Begleitung gehabt, von denen sie auf ihre Notsignale aufgenommen und mit fortgeführt seien. Dann einmal stellte ich mir vor, sie seien alle in ihrem Boote in See gegangen und von der Strömung, in der ich mich einst befunden hatte, in die offene See hinausgerissen worden; wo denn ein elender Untergang für sie unvermeidlich sein mußte. Vielleicht, redete ich mir ein, sind sie gerade jetzt dem Verschmachten nahe und hungrig genug, um sich unter einander aufzufressen.
Dies Alles aber waren nicht mehr als bloße Vermutungen. Ich konnte in meiner Lage nichts Anderes tun, als das Elend der armen Leute beklagen und sie bemitleiden. Dies übte wenigstens die gute Wirkung auf mich, daß ich mich immer mehr zur Dankbarkeit gegen Gott veranlaßt fühlte, der mich so überschwänglich reich in meiner traurigen Lebenslage versorgt und der von der Mannschaft zweier Schiffe, die nun schon an diesen Küsten verunglückt waren, nur allein mein Leben gerettet hatte. Ich machte hier aufs Neue die Beobachtung, daß die göttliche Vorsehung uns sehr selten in eine so unglückliche Lage oder in so großes Elend bringt, daß wir nicht immer noch für eins oder das andere erkenntlich sein und auf Andere blicken können, denen es noch schlechter ergeht als uns. Dies Letztere war wohl unzweifelhaft der Fall mit jenen armen Leuten. Ich mußte annehmen, auch kein einziger von ihnen sei gerettet worden. Denn wie hätte das geschehen sollen, wenn nicht gerade ein anderes Schiff in der Nähe war, welches sie an Bord nahm; das aber dünkte mich sehr unwahrscheinlich, da ich nicht die geringste Spur eines weiteren Fahrzeugs bemerkt hatte.
Ich habe keine Worte, um die leidenschaftliche Sehnsucht auszudrücken, die sich trotz Allem meiner Seele beim Gedanken, daß mir die Erlösung vielleicht nahe gewesen, bemächtigte. »Ach«, so rief ich zuweilen aus, »daß doch nur ein Paar Seelen, oder wenigstens eine einzige aus dem Schiffe gerettet wäre und bei mir Zuflucht gesucht hätte; daß ich einen Gefährten, einen Mitmenschen hätte, der mit mir sprechen und mit mir fühlen könnte!« In der ganzen Zeit meines einsamen Lebens hatte ich nie so heiß und so sehnsüchtig nach menschlicher Gesellschaft verlangt und den Mangel daran nie so schmerzlich empfunden als gerade damals.
Es gibt in den menschlichen Neigungen und Wünschen geheime Triebfedern, die, wenn sie durch irgend ein erreichbares Ziel, oder sei es auch ein unerreichbares, welches dem Geiste nur durch die Einbildungskraft vorgezaubert ist, in Bewegung gesetzt sind, die Seele zu einem solchen ungestümen und begierigen Verlangen anregen, daß die Entbehrung des Ersehnten geradezu unerträglich erscheint. So ging es mir mit jenem Wunsche, daß nur ein einziger Mensch gerettet sein möchte! »Ach, wäre es auch nur Einer!« Ich wiederholte, glaube ich, diese Worte wohl tausendmal, und so ergriffen war ich von meinem Verlangen, daß ich die Hände bei jenen Worten zusammendrückend meine Finger mit solcher Gewalt gegen die innere Handfläche preßte, daß ich, hätte ich irgend
Weitere Kostenlose Bücher