Robinson Crusoe (Illustrierte Ausgabe) - Defoe, D: Robinson Crusoe (Illustrierte Ausgabe)
voraus, daß sie, wenn sie auch anfangs vor mir die Flucht ergriffen, doch mit Hunderten von Fahrzeugen in wenigen Tagen wiederkommen würden, in welchem Falle das Schicksal, das mich erwartete, unschwer voraus zu wissen war.
Indessen vergingen wieder ein Jahr und drei Monate, ohne daß ich irgend etwas von den Wilden zu sehen bekam. Dann erst stieß ich abermals auf sie, wie ich sogleich berichten werde. Gewiß mochten sie auch in der Zwischenzeit einige Male dagewesen sein, aber entweder hatten sie sich nicht aufgehalten, oder sie waren wenigstens von mir unbemerkt geblieben. Endlich aber ereignete sich, und zwar, wenn ich richtig gerechnet habe, im Monat Mai des vierundzwanzigsten Jahres meines Inselaufenthaltes ein sehr merkwürdiges Zusammentreffen mit ihnen.
Die Aufregung meines Gemüts während des vorhergehenden Zeitraums von fünfzehn bis sechzehn Monaten war groß. Ich schlief unruhig, hatte immer schlechte Träume und fuhr oft in der Nacht aus dem Schlafe auf. Bei Tage drückte mich schwerer Kummer, und des Nachts träumte ich oft davon, wie ich die Wilden töten und womit ich diese Tat rechtfertigen wollte. Es war um die Mitte des Mai, ich glaube am sechzehnten, so weit ich den Tag nach meinem dürftigen hölzernen Kalender bestimmen kann (denn ich machte noch immer die Zeichen an dem Pfahle). Den ganzen Tag hatte ein heftiger Sturmwind gewütet, verbunden mit häufigem Blitz und Donner, und darauf war eine wüste Nacht gefolgt. Ich weiß nicht mehr genau alle einzelnen Umstände, aber gewiß ist, daß mich, während ich gerade in der Bibel las und in sehr ernsthafte Gedanken über meine gegenwärtige Lage vertieft war, plötzlich der Knall eines Flintenschusses, der mir von der See her zu kommen schien, erschreckte. Dies war nun eine ganz andere Art von Überraschung als alle die mir früher zu Teil gewordenen, und die Sorgen, die mich jetzt erfüllten, unterschieden sich daher auch sehr von meinen früheren. In der größten Eile sprang ich auf, stellte meine Leiter schleunigst an die Mitte des Felsens, zog sie, auf dem Felsvorsprung angekommen, mir nach und erstieg sie zum zweiten Male. Ich erreichte den Gipfel gerade in dem Augenblick, als ein feuriges Aufblitzen mich auf einen zweiten Schuß horchen hieß, den ich dann auch nach ungefähr einer halben Minute hörte. Aus dem Schalle konnte ich schließen, daß er von dorther komme, wo ich einst in meinem Boote von der Strömung fortgerissen worden war. Ich vermutete alsbald, daß hier ein Schiff in Not sein müsse und daß sich ein anderes Schiff in der Nähe befände, nach welchem diese Notschüsse, um von ihm Hilfe zu erlangen, abgefeuert würden.
Ich hatte Geistesgegenwart genug, sofort daran zu denken, daß, wenn auch ich den bedrängten Leuten nicht helfen könnte, doch sie mich vielleicht zu erretten vermöchten. Darum trug ich so viel dürres Holz, als ich bei der Hand hatte, zusammen und steckte es, nachdem ich einen guten Haufen aufgetürmt, in Brand. Das Holz war trocken und flammte deshalb hell auf, brannte auch trotz des heftigen Windes ganz nieder. Ich zweifelte nun nicht, daß, wenn wirklich ein Schiff in der Nähe sei, die Leute an Bord das Feuer gesehen haben müßten. Dies war denn auch der Fall gewesen. Denn sobald die Flamme aufloderte, hörte ich wieder einen Schuß und dann noch mehre, alle aus derselben Richtung. Ich unterhielt das Feuer die ganze Nacht hindurch bis zum Tagesanbruch. Als es ganz hell geworden war und der Himmel sich aufgeheitert hatte, sah ich in weiter Ferne einen Gegenstand auf der See, gerade östlich von der Insel, konnte aber selbst mit Hilfe des Fernglases nicht unterscheiden, ob es ein Segel oder der Rumpf eines Schiffes sei, denn die Entfernung war zu groß und die Luft über dem Wasser noch immer etwas dunstig.
Den ganzen Tag über schaute ich vielmals nach jenem Ding aus. Ich bemerkte bald, daß es sich nicht bewegte, und schloß daraus, daß es ein vor Anker liegendes Schiff sei. Da ich begreiflicher Weise begierig war, darüber ins Klare zu kommen, ergriff ich meine Flinte und lief nach der Südseite der Insel zu dem Felsen, wo ich einst von der Strömung entführt worden war. Von dort aus konnte ich, da das Wetter jetzt ganz klar geworden, zu meinem großen Kummer ganz deutlich das Wrack eines Schiffes erkennen, welches in der Nacht auf den verborgenen Klippen, die ich damals mit meinem Boote entdeckt hatte, gestrandet war. Dieselben Klippen waren früher, indem sie die Gewalt der Strömung
Weitere Kostenlose Bücher