Robinson Crusoe
halbe Stunde vor Sonnenuntergang ritten wir in den ersten Wald ein, und kurz nach Sonnenuntergang kamen wir auf die kleine Ebene. In dem ersten Wald war uns nichts begegnet, nur hatten wir auf einer kleinen Lichtung, die keine fünfhundert Meter lang war, fünf große Wölfe uns übern Weg laufen sehen, spornstreichs einer hinterm ändern her, wie auf einem Raubzug. Sie hatten uns jedoch nicht beachtet, und wir hatten sie im Nu aus den Augen verloren.
Der Führer, der ein rechter Angsthase war, hatte uns eingeschärft, auf der Hut zu sein; denn er glaube, es würden ihrer bald mehr erscheinen.
Wir hielten daher die Gewehre schußbereit und die Augen offen; aber wir sahen keine Wölfe mehr, bis wir aus diesem Wald, der etwa eine halbe Meile breit war, in die kleine Ebene hinauskamen, wo wir alsbald genug zu sehen bekamen. Das erste, was wir erblickten, war ein totes Pferd: ein armes Pferd nämlich, das die Wölfe gerissen hatten und an dem noch mindestens ein Dutzend von ihnen herumarbeiteten; denn fressen konnte man das nicht mehr nennen, da sie nur noch an den bloßen Knochen nagten; das Fleisch hatten sie bereits ganz abgefressen.
Es schien uns nicht ratsam, sie in ihrer Mahlzeit zu stören, und sie kümmerten sich auch nicht sonderlich um uns.
Freitag hätte zwar gern unter sie gefeuert; ich wollte es aber durchaus nicht haben, weil ich ahnte, daß wir bald noch mehr Arbeit bekommen würden. Wir waren noch nicht halb durch den Paß hindurch, als wir zur Linken im Gehölz ein schreckliches Geheul hörten. Gleich darauf sahen wir bei hundert Wölfe gerade auf uns zustürzen, alle in einer Linie, just wie eine Armee, die von erfahrenen Offizieren geführt wird. Ich zögerte einen Augenblick, wie wir diese Gäste empfangen sollten. Doch schien es mir das beste, uns auch in einer geschlossenen Linie zu halten, was wir auch sogleich taten. Damit aber nicht zu viel Zeit aufs Laden verlorenginge, befahl ich, es sollte allemal nur jeder dritte Mann feuern und die anderen sich zur zweiten Salve fertig halten, falls die Bestien weiter vorrückten; und diejenigen, die zuerst gefeuert hatten, sollten sich nicht damit aufhalten, ihre Gewehre wieder zu laden, sondern sich jeder mit einer Pistole bereit halten; denn wir waren alle mit je einem Gewehr und je einem Paar Pistolen bewaffnet, so daß wir auf diese Art sechs Salven feuern konnten, immer die Hälfte von uns zu gleicher Zeit. Aber es kam gar nicht dazu; denn schon als die erste Salve krachte, stand der Feind, von dem Knall und Feuer erschreckt, still. Vier waren in den Kopf getroffen und sanken um; mehrere andere waren verwundet und, wie wir am blutigen Schnee sahen, davongelaufen.
Sie standen nun, wie gesagt, alle still, wichen aber nicht zurück. Da fiel mir ein, daß ich hatte sagen hören, auch die grimmigste Bestie lasse sich durch die menschliche Stimme einschüchtern. Also hieß ich unsere ganze Gesellschaft ein Geschrei erheben, so laut wir konnten; und wirklich half es; denn sie machten sofort heulend kehrt und liefen davon. Ich befahl, noch eine Salve hinterdrein zu pfeffern, vor der sie vollends in den Wald hineingaloppierten.
Wir hatten nun Muße, unsere Büchsen wieder zu laden, was wir, um keine Zeit zu verlieren, im Weiterreiten taten. Kaum hatten wir jedoch wieder Pulver auf der Pfanne, so hörten wir von neuem aus dem Wald zur Linken ein schauerliches Geheul.
Die Nacht brach just herein, und es wurde stockfinster, was um so schlimmer für uns war. Wir konnten aber an dem anschwellenden Lärm erkennen, daß der Höllenhunde nicht weniger waren als zuvor; und plötzlich gewahrten wir zwei oder drei Haufen Wölfe, einen zur Linken, einen hinter und einen vor uns, so daß wir von ihnen schlechthin umzingelt schienen. Doch da sie uns nicht angriffen, ritten wir in starkem Trabe weiter, so schnell unsere Pferde auf dem holperigen Wege laufen konnten. So erreichten wir den Eingang zu dem Walde, durch den wir am Ende der Senkung hindurch mußten.
Wer beschreibt aber unser Entsetzen, als wir hier an der engen Öffnung einen gewaltigen Haufen von Wölfen versammelt sahen! In demselben Augenblick hörten wir von einer anderen Stelle des Waldrandes her einen Büchsenschuß und sahen ein Pferd mit Sattel und Zaum wie der Wind davonlaufen und sechzehn bis siebzehn Wölfe hinter ihm drein. Das Pferd hatte zwar einen Vorsprung; aber es war kein Zweifel, daß sie es einholen würden, was auch sicherlich wohl geschehen ist.
Als wir zu der Stelle, wo das Pferd aus dem
Weitere Kostenlose Bücher