Der Menschensammler - Dicte Svendsen ermittelt Kriminalroman
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|7| Kapitel 1
Der Tod an sich hat nichts Schönes, aber manchmal gibt es mildernde Umstände.
Zum Beispiel die Tatsache, dass die Sonne bei dem Begräbnis schien und eine Amsel sich dazu entschlossen hatte, vom Wipfel einer Birke ein Solo vorzutragen.
Dicte lauschte dem Vogel und dem Rascheln der Blätter im Wind. Dann vernahm sie plötzlich das Geräusch von Erde, die auf Dorothea Svenssons Mahagonisarg mit den blankgeputzten Messinggriffen aufschlug, und vermisste Bo. Natürlich konnte sie eine Beerdigung allein überstehen, und schließlich lag auch nicht ihre eigene Mutter in dem Sarg. Aber etwas fehlte ihr, ein Arm, der sich um ihre Schulter legte, eine Hand, die ihren Nacken berührte. Viel mehr verlangte sie doch gar nicht. Aber er hatte eine gute Entschuldigung, immerhin war es das letzte Spiel der Saison, und AGF-Århus trat vor mehr als 17 000 Zuschauern gegen HIK-Hellerup an. Es gab Dinge, die wichtiger waren als Beerdigungen, zumindest wenn man freiberuflicher Fotograf war und ein Wochenendhonorar einstreichen wollte.
Sie sah sich im Kreis der Trauernden um, die sich um das offene Grab herum aufgestellt hatten. Der Pfarrer hatte die Hände gefaltet.
»Vater unser, der du bist im Himmel …«
Ida Marie hatte rote, geschwollene Augen, die in Tränen ertranken, obwohl Dorothea alles andere als das Musterbeispiel einer Mutter gewesen war. An der einen Hand hielt sie ihren vierjährigen Sohn Martin, in der anderen ein paar langstielige rote Rosen. John Wagner stand dicht hinter ihr und hatte einen Arm um ihren Körper geschlungen. Dicte fragte sich, ob es mit der Aufklärung des Mordes an dem achtzehnjährigen Mädchen aus Hadsten wohl voranging, der seit Tagen die Schlagzeilen der Tageszeitungen beherrschte, zu denen auch einer ihrer Artikel |8| gehörte. Aber im Moment war der Polizist nur Privatmann, und sie würde ihre Fragen zurückhalten und warten, bis sie ihn wieder in seinem Büro erreichen konnte.
Wagners Sohn, der vierzehnjährige Alexander, stand neben ihm, mit dem geistesabwesenden Blick eines Teenagers. Auch Anne und Anders, die gerade mit ihrem Sohn aus Grönland zurückgekehrt waren, gehörten zum engeren Freundeskreis. Auch diese Familie stand dicht aneinandergedrängt, als hätten sich alle Hinterbliebenen in kleinen Gruppen zusammengefunden, um sich gegen den Tod dort unten im Sarg zu schützen. Alle, nur sie nicht. Sie war nur umgeben von Luft, als befände sie sich in einer unsichtbaren Blase.
Sie hörte die Schritte hinter sich, doch ehe sie sich umdrehen konnte, stand er hinter ihr und füllte die Leere aus.
»Da ist was draußen beim Stadion passiert.«
Bo hatte es ihr ins Ohr geflüstert. Der Pfarrer hob die Stimme an:
»… vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.«
»Pünktlich zum Schuldenerlass«, murmelte Bo.
Der Pfarrer sah auf und warf ihm einen strafenden Blick zu.
»Stadion?«, wiederholte sie flüsternd, so dass der Pfarrer sie nicht hören konnte. »Du kommst da doch gerade her?«
»Das hat bestimmt nichts mit dem Spiel zu tun«, wisperte er und vergrub sein Gesicht in ihren Haaren.
Das Vaterunser war überstanden, und es war Zeit, dass die Familie vortrat, ihre Blumen auf den Sarg warf und ein letztes Lebewohl sagte. Bo und sie hielten sich zurück und ließen die nächsten Verwandten vorgehen. Er legte einen Arm um sie, und da wurde ihr plötzlich bewusst, wie lange sie sich nicht mehr so nah gewesen waren, sowohl im Bett als auch im Alltag. Es war nicht aus böser Absicht so gekommen. Viel Arbeit und Zeitmangel hielten sie, wie so viele andere, im eisernen Griff, und ihr neuer Posten als Chefin der Kriminalredaktion raubte ihr die letzte Kraft.
|9| »Die haben sich im Radio fast in die Hosen gemacht vor Angst. Auf dem Parkplatz direkt vorm Stadion wurde eine Leiche gefunden. Hab es erst vor zwei Minuten gehört.«
Bo belauschte gerne den Polizeifunk.
»Vielleicht wieder ein Drogenabhängiger?«, schlug Dicte vor. Sie wussten beide, dass in regelmäßigen Abständen tote Junkies an öffentlichen Orten, auf Toiletten, in Tiefgaragen oder etwas Ähnlichem gefunden wurden. Das war traurig, aber in der Regel nicht ausreichend, um für große Schlagzeilen zu sorgen, außer es wurde vorher bekannt gegeben, dass besonders gefährliche Stoffe auf der Straße im Umlauf waren.
»Nicht bei dem Spektakel. Es klang, als hätten die den Bürgermeister tot aufgefunden und zwar in hochhackigen Pumps und Handschellen und im
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