Robinson Crusoe
Freudenrausch. «Gottlob, daß ich noch lebe!» - ohne das geringste wirkliche Nachdenken über die Güte der Hand, die mich bewahrt und mich vor allem auserwählt hatte, gerettet zu werden, wo alle anderen vernichtet wurden, und ohne die geringste Frage danach, weshalb die Vorsehung so gnädig gegen mich gewesen war. Nein, es war dieselbe, ganz gewöhnliche Art von Freude, wie alle Seeleule sie empfinden, wenn sie aus einem Schiffbruch heil an Land gekommen sind: schon in der nächsten Punschbowle wird sie ersäuft, und alles in vergessen, sobald es vorüber ist. Und dieser An war auch mein ganzes weiteres Leben. Selbst als mir hernach in gehöriger Bestimmung mein Zustand so recht zu Bewußtsein kam: wie ich an diesen schrecklichen Ort verschlagen sei, unerreichbar weit von allen Menschen, ohne alle Hoffnung auf Befreiung oder Aussicht auf Erlösung - selbst da verlor sich das Gefühl von meiner Not, sobald sich die Aussicht eröffnete, daß ich am Leben bleiben könnte und nicht Hungers zu sterben brauchte, und ich begann mich ganz beruhigt zu fühlen, machte mich an die Arbeiten, die zu meiner Sicherheit und Ernährung nötig waren, und war weit davon entfernt, meine Lage als eine Strafe des Himmels und als ein Walten Gottes wider mich zu betrachten; solche Gedanken kamen mir nur sehr selten in den Sinn.
Das Aufsprießen der Gerstenkörner machte anfangs, wie in meinem Tagebuch erwähnt, einigen Eindruck auf mich und begann ernste Gedanken in mir zu erwecken, solange ich glaubte, ein Wunder darin erkennen zu müssen; aber kaum hatte sich das vermeintliche Wunder aufgeklärt, so schwand auch, wie bereits erzählt, diese seine Wirkung auf mich.
Selbst das Erdbeben, obschon doch nichts schrecklicher sein oder unmittelbarer hindeuten konnte auf die unsichtbare Macht, die allein solche Dinge lenkt - selbst der Eindruck, den das Erdbeben auf mich gemacht hatte, verging, sobald der erste Schrecken vorüber war. Der Gedanke an Gott und sein Gericht und daran, daß meine gegenwärtige Not aus seiner Hand kommen könnte, kann mir ebensowenig, als wenn ich in der glücklichsten Lage von der Welt gewesen wäre.
Aber jetzt, als ich anfing, krank zu werden, und untätig in die Trübsal des Todes schaute, die sich vor mir auftat, da meine Lebensgeister unter der Last der schweren Krankheit sanken und die Natur durch die Gewalt des Fiebers ermattet war, jetzt begann mein Gewissen, das» lange geschlafen hatte, zu erwachen, und ich begann mir Vorwürfe über mein vergangenes Leben zu machen, indem ich durch meine ungemeine Schlechtigkeit die göttliche Gerechtigkeit herausgefordert hatte, mich mit so ungewöhnlich schweren Schlägen zu treffen und rächend heimzusuchen.
Diese Gedanken quälten mich seit dem zweiten oder dritten Tag meiner Krankheit, und die Gewalt des Fiebers und diese schrecklichen Vorwürfe meines Gewissens entrangen mir Worte, eine Art Gebet zu Gott, obwohl ich es nicht eigentlich ein Beten voll Wunsch und Hoffnung nennen kann; vielmehr war es die Stimme bloßer Furcht und Verzweiflung. Meine Gedanken waren verwirrt, die Schuld lag schwer auf meiner Seele, und das Grauen, in so schrecklicher Lage sterben zu müssen, trieb mir das Blut bei der bloßen Vorstellung zu Kopf. Und in diesem Aufruhr meiner Seele wußte ich nicht, was meine Zunge lallte. Aber es waren etwa Ausrufe wie: «Herr, was für ein elendes Geschöpf bin ich! Wenn ich krank werde, werde ich sicher ohne Hilfe sterben; was soll aus mir werden?». Dann brachen mir die Tränen aus den Augen, und ich konnte für lange Zeit nichts mehr sagen.
Mittlerweile fiel mir der gute Rat meines Vaters ein und seine Prophezeiung, die ich am Anfang dieser Geschichte erwähnte, nämlich, daß Gott mich nicht segnen würde, wenn ich diesen tollen Schritt täte, und daß ich noch einmal Muße genug haben würde, über meine Verstocktheit nachzudenken, wenn ich keine Menschenseele haben würde, die mir beistände. «Jetzt», sagte ich laut, «erfüllen sich meines lieben Vaters Worte an mir: Gottes Gerechtigkeit hat mich ergriffen, und ich habe niemanden, mir zu helfen oder mich zu hören; ich war taub für die Stimme der Vorsehung, die mich in ihrer Güte in einen Stand oder eine Lebenslage versetzt hatte, worin ich mich hätte glücklich und behaglich fühlen können; aber ich wollte weder selbst einsehen noch von meinen Eltern lernen, welcher Segen das war; ich ließ sie in Gram über meine Torheit zurück, und nun liege ich selber hier in Gram über die Folgen;
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