Robinson Crusoe
getränkt; nur nahm ich nicht soviel wie zuvor, kaute kein Blatt und hielt meinen Kopf nicht über den Rauch. Indessen fühlte ich mich am folgenden Tage, der der 1. Juli war, nicht so gut, wie ich gehofft hatte; denn ich hatte einen kurzen Schüttelfrost; aber es war nicht schlimm.
2. Juli. Ich erneuerte die Medizin auf alle drei Arten, betäubte mich erst damit und trank dann die doppelte Menge.
3. Juli. Die Anfälle verloren sich ganz, obgleich ich meine vollen Kräfte erst nach einigen Wochen wiedererlangte. Während ich neue Kräfte sammelte, bewegten meine Gedanken sich hauptsächlich um die Bibelstelle «Ich will dich erretten!», und es lag mir schwer auf der Seele, daß ich mir gar nicht vorstellen konnte, auf welche Weise ich jemals errettet werden sollte. Aber während ich mich noch mit solchen mutlosen Gedanken quälte, fiel mir plötzlich ein, daß ich ja immerfort nur den Blick auf die Errettung aus meiner Hauptnot gerichtet hielt und darüber ganz die Errettung vergaß, die mir soeben zuteil geworden war, und ich fühlte mich nun gleichsam dazu hingestoßen, mich selber zu fragen: «Bin ich nicht eben erst, und zwar wie durch ein Wunder, aus meiner Krankheit errettet worden, aus der trostlosesten Lage, die sich denken läßt und die mich so sehr ängstigte? Und hatte ich dessen geachtet? Hatte ich mein Teil getan? Gott halle mich errettet; aber ich halte ihn nicht gepriesen; nämlich, ich hatte das nicht als eine Errettung anerkannt und nicht dafür gedankt, und wie konnte ich denn da eine noch größere Errettung erwarten? » Dies berührte mein Herz so sehr, daß ich niederkniete und Gott laut dankte für die Genesung von meiner Krankheit.
4. Juli. Am Morgen griff ich wieder nach der Bibel und begann mit dem Neuen Testament. Ich machte mich ernstlich daran, es zu lesen, und zwar nahm ich mir vor, jeden Morgen und jeden Abend eine Weile zu lesen, ohne mich an die Kapitelzahlen zu binden, just so lange, wie meine Gedanken dabeibleiben wollten. Nicht lange, nachdem ich mich ernstlich an dieses fromme Werk gemacht hatte, fühlte ich mein Herz tief und ernstlich erschüttert von der Schlechtigkeit meines vergangenen Lebens. Mein Traum stand mir wieder vor Augen, und die Worte «Alle diese Dinge haben dich nicht zur Reue gebracht» brannten mir auf der Seele. Ich flehte Gott inbrünstig an, mir Reue zu geben, und die Vorsehung fügte es, daß ich noch am selbigen Tage, als ich in der Heiligen Schrift las, auf die Worte stieß: «Den hat Gott durch seine rechte Hand erhöht zu einem Fürsten und Heiland, zu geben Israel Buße und Vergebung der Sünden.» Ich warf das Buch hin, hob Herz und Hände gen Himmel und rief laut in freudiger Verzückung: «Jesus, du Sohn Davids, du erhöhter Fürst und Heiland, gib du mir Buße!»
Dies war das erstemal in meinem Leben, daß ich im wahren Sinne des Wortes sagen konnte, ich betete; denn jetzt betete ich mit dem Bewußtsein meiner Lage, mit einer bibelsicheren Aussicht auf Hoffnung, gegründet auf die Verheißung des Wortes Gottes; und seit dieser Zeit, darf ich sagen, begann ich zu hoffen, daß Gott mich erhören würde.
Jetzt begann ich, die Worte «Rufe mich an, so will ich dich erretten» in einem anderen Sinne zu begreifen, als ich vorher getan. Damals dachte ich bei Errettung immer nur an meine Erlösung aus der Gefangenschaft; denn obgleich ich Raum genug hatte, war die Insel ein Gefängnis für mich, und zwar im schlimmsten Sinne der Welt.
Aber jetzt lernte ich, es in anderem Sinne zu nehmen. Jetzt sah ich auf mein vergangenes Leben mit solchem Grauen, meine Sünden erschienen mir so schrecklich, daß meine Seele nichts anderes bei Gott suchte als Erlösung von der Last meiner Schuld, die mich so erdrückte. Mein einsames Leben war mir ein Nichts; ich bat nicht, von ihm befreit zu werden; ja, ich dachte nicht einmal daran; es war von keiner Bedeutung im Vergleich mit dem anderen. Und ich habe dieses Stück meiner Geschichte hierhergesetzt, um jeden, der es lesen wird, daran zu mahnen, daß, wenn er je auf den wahren Grund der Dinge kommt, er Erlösung von den Sünden als einen viel größeren Segen empfinden wird als Erlösung aus Trübsal. Aber ich schließe diesen Abschnitt, um zum Tagebuch zurückzukehren.
Meine Lage wurde nun, obwohl sie noch jammervoll genug blieb für meinen Leib, dennoch viel leichter für mein Gemüt. Meine Gedanken waren durch das Lesen der Schrift und das Beten zu Gott auf höhere Dinge gerichtet. Ich fand einen Trost in mir selber,
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