Rockerkrieg: Warum Hells Angels und Bandidos immer gefährlicher werden - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
furchteinflößend aus. Zur besseren Unterscheidung tragen sie grüne Westen, auf denen POLIZEI steht. Die Hells Angels lachen, zeigen auf die verdutzten Beamten, die das provozierende Verhalten wiederum nur bedingt witzig finden. Verstärkung wird angefordert, das Spezialeinsatzkommando rollt an, und die Geschichte gewinnt an Fahrt.
Freitag, ein 39-jähriger Karatekämpfer aus Brandenburg, kann nicht nur verbal austeilen. Als eine Art »Schlag-drauf-und-Schluss« hat er sich in der Rockerszene einen Namen gemacht. Mehrmals werden sich in den nächsten Jahren Polizei und Gerichte mit dem Mann beschäftigen.
An diesem lauen Sommermorgen gehen die Beamten davon aus, dass gegen Freitag ein Haftbefehl vorliegt. Um den zu vollstrecken, muss der Rocker rauskommen. Will er nicht freiwillig, und danach sieht es aus, müssen die Beamten eben rein und ihn sich greifen. Eine halbe Stunde nachdem die Polizei in ausreichender Stärke angerückt ist, verhandeln beide Seiten noch immer über den Delinquenten Rayk Freitag.
Einer der Hells Angels, untersetzt, mit Ohrring und Lederkutte, erklärt der Polizei sein Rechtsverständnis: »Wenn ihr anrückt, mach ich die Tür zu, ist doch ganz normal.« Der zuständige LKA -Fahnder raunzt zurück: »Wenn der uns da oben beleidigt mit ›Du schwule Sau‹, meinst du, das lassen wir uns bieten? Den holen wir da raus!«
Ein paar Baseballschläger, in der Szene liebevoll »Basies« genannt, werden beschlagnahmt. Dann folgt der Auftritt von Holger »Hocko« Bossen. Er führt mit den »Nomads« eine Art Edelabteilung der Hells Angels an, denn in jedem Land der Welt darf es nur einen Ableger mit diesem Namen geben.
Weit über zwei Zentner bringt Bossen auf die Waage, verteilt auf 1,90 Meter. Er trägt szenetypische Kleidung: schwarzes T-Shirt, schwarze Lederjacke, schwarzes Basecap. Mit Bossen ist nicht zu spaßen, Kenner des Milieus berichten, dass er vor Jahren in Skandinavien schon einen Mord begangen haben soll. Das konnte ihm aber nie bewiesen werden.
Seine Körperhaltung, was Wunder bei der Anwesenheit von so viel Polizei, ist angespannt. Er steht aufrecht, den massigen Kopf leicht nach vorne geschoben. Die Stimme ist fest, Bossen weiß, was er will. Es ist ein Heimspiel, sein Club, und es ist sein Kumpel, den der Staat will. Und so einfach geht das nicht.
»Wo ist der Einsatzleiter, bitte?«, fragt Bossen in die Runde. Keine Antwort. Dann starrt der Rocker den vor ihm stehenden Polizisten an. Ohne zu zucken, ohne den Blick abzuwenden. Rocker gegen Rechtsstaat: Ich habe keine Angst. Und du?
Trotz dieses beeindruckenden Auftritts wird Bossen kurze Zeit später von den Angels rausgeschmissen, weil er in die Vereinskasse gegriffen haben soll. »Out in bad standing«, so die clubinterne Bezeichnung für den Tritt in den Hintern, Bossen ist damit Freiwild. Im Mai 2011 wird er einen Mordanschlag nur knapp überleben, im November 2012 wegen eines mutmaßlichen Mordauftrags festgenommen, doch dazu später.
Beim Polizeieinsatz vor dem Vereinsheim ergibt sich der gesuchte Rayk Freitag zunächst der Staatsmacht. Freundlich scherzt der Karateka mit seinen Kumpanen und will sich nach Waffen abtasten lassen. »Hocko« Bossen und sein damaliger Stellvertreter André Sommer werden derweil von anderen Polizisten in Schach gehalten. Dann greift einer der Uniformierten an Freitags Arm. Der Rocker rastet aus.
Blitzschnell umklammert er den Beamten, reißt ihn nieder. Eine wilde Keilerei beginnt, zehn Polizisten schaffen es nur mit Mühe, ihren Kollegen aus der bedrohlichen Situation zu befreien. Möglicherweise will sich Freitag ein »Dequiallo« verdienen. Dieses Abzeichen bekommen Hells Angels, die einen Angehörigen von Polizei oder Justiz angreifen und verletzen. Es ist nur eine Auszeichnung unter vielen in der Subkultur der Rocker.
Rein nur mit Ramme – Rockerclubs als rechtsfreier Raum
In dieser Berliner Nacht entbrennt ein Kleinkrieg zwischen Ordnungsmacht und Rockern, obschon der Anlass nichtig ist. Die Polizisten als Vertreter des Rechtsstaats handeln für unser aller Gemeinwohl, denn das Zusammenleben in einer Zivilgesellschaft gestaltet sich einfacher, wenn es Regeln gibt, die allgemein anerkannt sind. Mit diesen Regeln wiederum haben Rockerbanden wie die Hells Angels oder die Bandidos so ihre Probleme. Darum bezeichnen sie sich selbst als »Outlaws«, als »Gesetzlose«. In der internationalen Polizeisprache ist der Begriff Outlaw Motorcycle Gangs ( OMCG ) gebräuchlich. In Deutschland
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