Rockerkrieg: Warum Hells Angels und Bandidos immer gefährlicher werden - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
immer wieder die gesamten Gangs hineinziehen.
Den Ermittlungsbehörden, aber auch den Motorradbanden, die zumindest theoretisch strengen internen Regeln folgen und drakonische Strafen kennen, erwächst daraus ein Problem: Wie wird man die Geister wieder los, die man einst zu Hilfe gerufen hat? Kann man sie überhaupt wieder loswerden? Oder ist die Zeit der Etablierten abgelaufen – nicht nur weil die ungestümen, hungrigen Jungen nach vorne drängen, sondern auch weil den Alten inzwischen die Staatsmacht auf den Füßen steht?
In den vergangenen Jahren sind zahlreiche Bücher über die Motorradgangs erschienen, die alle dieselbe Perspektive auf die Szene wählen: Es sind subjektive Berichte von Insidern, Undercover-Polizisten oder ehemaligen Gangmitgliedern. Die Autoren beschreiben, was sie (angeblich) in ihrer kleinen Rockerwelt erlebt haben, einen größeren Kontext vermögen sie nicht herzustellen.
Dieses Buch soll etwas anderes sein, etwas, das es in Deutschland noch nicht gegeben hat. Aus Tausenden Seiten exklusiv vorliegender und vertraulicher Akten, aus Dutzenden Gesprächen mit Polizisten, Milieu-Größen und Rockern entstand die erste objektive Darstellung eines Phänomens, das die Sicherheitsbehörden in den nächsten Jahren massiv beschäftigen wird.
Dieses Buch beschreibt, wie es dazu kommen konnte, dass eine abgeschriebene und totgesagte Szene einen derartigen Aufschwung erlebt. Es zeichnet nach, wie Abertausende Rocker in Deutschland inzwischen ihr Geld verdienen, in welche Geschäfte sie verwickelt sind und zu welchen Politikern, zu welchen Prominenten sie beste Beziehungen pflegen. Und es gibt einen Eindruck davon, zu welcher Bedrohung die Gangs sich auswachsen, wie mächtig sie geworden sind, wie weit ihre Kontakte reichen. Rocker sind nicht mehr nur die tumben Schläger, die vor Diskotheken stehen und dort den Drogenhandel kontrollieren. Sie mischen in der Lebensmittelbranche mit, machen Immobiliendeals, sie sind Gastronomen, führen Unternehmen und profitieren von der Vermarktung ihres Lifestyles.
Vor allem aber möchten wir mit diesem Buch dazu beitragen, dass die Öffentlichkeit versteht, was in den vergangenen Jahren in dem oft beschworenen Rockerkrieg eigentlich geschehen ist. Worum es geht und welche Konsequenzen die Taten hatten. Wer die handelnden Personen sind, welche Ziele sie verfolgen und wie Rocker, Presse, Politik und Polizei den Konflikt für ihre jeweiligen Zwecke nutzen.
Eines noch: Es gibt Millionen kreuzbrave Motorradfahrer in Deutschland, manche von ihnen nennen sich Biker. Es gibt Tausende Clubs, in denen sie sich organisiert haben – doch um all diese geht es in diesem Buch nicht. Vielmehr geht es im Folgenden um die sogenannten »One Percenter«, also um das eine Prozent der Szene, das sich selbst als gesetzlos definiert. Es geht vor allem um Hells Angels und Bandidos, am Rande auch um Outlaws und Gremium – diese Gruppierungen sind ausschließlich gemeint, wenn in diesem Buch von Rockern, Bikern, Harley-Fahrern und Motorradclubs die Rede ist.
Nur damit es keine Missverständnisse gibt.
KAPITEL 1 »KOMM MAL HER, DU SCHWULE SAU, ICK FICK DICH!«
Rocker als Staatsfeinde, Subkultur und Promischmuck
Böse gucken früh um fünf – Rocker und der Rechtsstaat
E in Mann schreit. Der Tonfall ist bestimmend, fordernd. Da will einer Randale. Es ist kurz nach Sonnenaufgang, die Hauptstadt genießt noch den unruhigen Schlaf einer Metropole. »Komm mal her, du schwule Sau, ick fick dich!«, brüllt der Mann im Juni 2008 aus dem offenen Fenster des Vereinsheims der Hells Angels am Spandauer Damm in Berlin.
In dem Siebziger-Jahre-Bau aus Waschbeton und Stahlträgern feiern die Höllenengel eine ihrer typischen Partys. Für ihre Zwecke ist der Bau bestens geeignet, denn nur eine Treppe führt nach oben in den Clubraum. Jeder muss hier hoch – einerlei, ob Angreifer einer anderen Gang oder Vertreter der Staatsmacht.
Musik dröhnt aus Lautsprecherboxen auf die Straße. An die blau gestrichene Brüstung sind rot-weiße Fackeln gebunden. Der Mann, der so schreit, heißt Rayk Freitag. Neben ihm auf der Empore des Hauses stehen rund 20 Hells Angels. Sie lehnen an der stählernen Brüstung, muskelbepackte Kerle, die meisten tätowiert, die Lederwesten über den engen T-Shirts und wild entschlossen, ein bisschen Spaß zu haben.
Unten auf der Straße stehen Ermittler des Landeskriminalamtes, genauer: die MEK -Rockerstreife der LKA -Abteilung 643. Auch manche Fahnder sehen
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