Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rolandsrache

Rolandsrache

Titel: Rolandsrache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kirsten Riedt
Vom Netzwerk:
Wolkendecke zu brechen. Im Haus fragte man sich bestimmt schon längst, wo sie war.
    »Es ist besser, wenn ich jetzt gehe, es ist schon spät.«
    Er nickte und wirkte erleichtert. Es musste ihm schwergefallen sein, ihr all das zu sagen, zumal er wusste, wie sehr sie ihren Vater liebte. Vermutlich war er deswegen die letzten Tage auch nicht zu ihnen herübergekommen.
    »Möchtest du immer noch zur Werkstatt?«
    »Ja, ganz kurz.« Sie brauchte jetzt Gewissheit, wie viel von der Arbeit zerstört worden war.
    Es war beinahe dunkel, als sie die verlassene Halle betraten. Claas hatte eine Lampe mitgenommen, sonst hätten sie nicht mehr viel gesehen. Fast wünschte Anna, es wäre so, denn der Anblick der Zerstörung traf sie tief. Der Kopf der Statue war zweimal gesplittert und der Rumpf gebrochen. Überall sah man die Spuren des Kampfes, überall getrocknetes Blut. Ihre Sicht verschwamm unter Tränen, und jetzt gelang es ihr nicht mehr, sie zurückzuhalten. Claas bemerkte ihr Zittern.
    »Wir hätten nicht herkommen sollen, bevor ich Ordnung geschaffen habe.« Er fasste sie an der Schulter und drehte sie zu sich herum. Ganz behutsam nahm er sie in den Arm, und sie ließ die ungeweinten Tränen, mit denen sie seit Tagen gerungen hatte, endlich frei. Sie nahm das Schlagen seines Herzens wahr, seinen Geruch, spürte seinen Atem dicht an ihrem Ohr. Es war das erste Mal, dass er ihr so nahe war. Claas sagte nichts, sondern hielt sie die ganze Zeit fest und streichelte ihr mit seiner gesunden Hand über den Rücken. Als ihr selbst die Kraft zum Weinen ausging und sein Hemd ganz durchweicht war, hob er ihr Kinn an, sodass sie ihm direkt in die Augen sehen musste. Hätte er sie jetzt geküsst, hätte sie es geschehen lassen.
    Er lächelte, als er ihr vorsichtig die Tränen abwischte, doch in seinen Augen lag eine ebenso große Qual wie die, die sie gerade selbst empfand.
    Sie blinzelte und ließ ihren Blick durch die Halle wandern. »Wie viele waren es?«
    »Vier oder fünf.«
    »Es muss schlimm gewesen sein.« Vor ihrem geistigen Auge sah sie, wie ihr Vater und Claas von vermummten Männern niedergerungen wurden, wie diese mit Knüppeln auf sie einschlugen und sich anschließend an den behauenen Steinen zu schaffen machten.
    »Anna?« Die barsche Stimme gehörte ihrem Onkel, der eben zur Tür hereinkam. »Was …« Seine Verärgerung stand ihm ins Gesicht geschrieben, als er sie so eng umschlungen stehen sah. Augenblicklich ließ Claas sie los.
    »Wir haben nur nachgesehen, wie viel diese Männer verwüstet haben.« Anna sprach hastig und fühlte sich ertappt, auch wenn kein Grund dazu bestand. Sie konnte an den Augen ihres Onkels ablesen, was er dachte, und schämte sich dafür.
    »Das Essen steht bereit.« Demonstrativ hielt er ihr die Tür auf, durch die sie mit glühendem Gesicht eilig hinausschlüpfte. Der Onkel warf Claas einen finsteren Blick zu, dann folgte er ihr ohne ein weiteres Wort.
    ***
    In der nächsten Nacht schlief Anna unruhig und wurde von Träumen geplagt. Sie sah darin sich und ihre Mutter, eng umschlungen und in Lumpen gehüllt, in einem Verlies. Davor ihren Vater mit einem wilden Lachen und einem Schlüssel in der Hand. Schweißnass und mit pochendem Herzen schreckte sie auf und musste sich erst einmal klar darüber werden, wo sie sich befand.
    Leise, um ihre schlafenden Basen nicht zu wecken, wechselte sie ihr Nachthemd und ging wieder ins Bett. Nur mit Mühe fand sie in den Schlaf zurück, wo weitere böse Träume auf sie lauerten, in denen jemand ihren Vater mit Gewalt von ihrer Hand losriss, ein anderer zeigte ihr wieder ein kaltes Verlies, und sie fror entsetzlich.
    Plötzlich rüttelte sie jemand an den Schultern. »Anna, Anna, wach auf. Du hast geschrien, als hättest du den Leibhaftigen gesehen.«
    »Hm?« Benommen sah Anna sich um. Sie war gar nicht im Schuldturm, sondern lag zu Hause in ihrem Bett.
    »Du hast geschrien!«, wiederholte Adelheid, die im Nachtgewand über ihr stand.
    »Oh. Tut mir leid, ich habe wohl geträumt. Geh wieder zu Bett.«
    »Lautstark«, sagte ihre Base und kroch zu ihrer Schwester unter die Decke. Bereits nach kurzer Zeit war ihr gleichmäßiges Schnarchen zu hören.
    Anna konnte nicht wieder einschlafen. Immerzu überlegte sie, wie sie aus der momentanen Misere herauskommen konnten. Den Gedanken, einen Maurer oder Steinmetz einzustellen, der die Arbeit für sie verrichtete, verwarf sie wieder, denn außer Friedrichs, von dem man bereits sagte, er werde der neue

Weitere Kostenlose Bücher