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Rolandsrache

Rolandsrache

Titel: Rolandsrache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kirsten Riedt
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Zunftmeister, würde sie niemanden finden. Alle Steinmetze, Bildhauer und Maurer waren mit dem Bau des Rathauses beschäftigt, und man hatte sogar reisende Handwerker von außerhalb für all die anderen Baustellen kommen lassen. Auch würde Friedrichs den Roland nie in ihrem Namen fertigen, das war ihr in dem Gespräch mit Claas klar geworden.
    So verging Stunde um Stunde, bis schließlich der Silberstreifen am Horizont den neuen Tag einleitete. Sie stieg leise aus dem Bett, streifte ihr blaues Kleid über und band ihre Haare zusammen. Sie würde für alle das Frühstück herrichten.
    Anna nahm sich den kleinen Korb, ging zum Hühnerstall und sammelte, zum Ärger der alten Hennen, die frisch gelegten Eier ein. Anschließend ging sie zum Stall und fütterte die beiden Ochsen und die Pferde. Als sie zurück ins Haus kam, erschien ihre Tante bereits mit verschlafenem Gesicht und zerzaustem Haar, jedoch hoch erfreut über Annas Arbeitseifer.
    »Wovon hast du denn heute Nacht geträumt?«, fragte Adelheid später beim Frühstück mit vollem Mund, nachdem sie genüsslich in das Brot gebissen hatte.
    »Adelheid, so etwas fragt man nicht!«, zischte deren Mutter über den Rand ihres Milchbechers. Ihre Base starrte verlegen auf den Tisch und brachte damit ihre Schwester Maria zum Kichern.
    »Ist schon gut, Tante. Ich habe die beiden in der Nacht mit einem Schrei aus dem Schlaf gerissen«, sagte Anna entschuldigend.
    »Das wird vorbeigehen, Anna.« Claas’ Mutter nickte ihr aufmunternd zu.
    »Dein Vater sagt immer, dass ein voller Magen am Abend böse Träume bringt«, mischte sich nun ihre Mutter ein und warf ihr einen strafenden Blick zu. »Wo ist eigentlich Thea schon wieder?«
    Annas Mutter schien vergessen zu haben, dass Thea vor einigen Wochen von einem ihrer Brüder die Nachricht erhalten hatte, dass der Vater schwer erkrankt wäre und sie sich darum kümmern sollte. Schweren Herzens hatten die Oldes sie gehen lassen. Sie versprach, bald zurückzukommen, denn hier sei ihr Zuhause, hatte sie beim Abschied gesagt.
    »Aber Mutter, sie ist doch bei ihren Eltern, der Vater liegt im Sterben.«
    »Nein!« Sie schlug die Hand vor den Mund. »Die Ärmste. Wann ist sie denn fortgegangen? Ich habe es nicht gehört.«
    Ihre Tante verdrehte die Augen zur Decke, und die jüngere Base kicherte erneut. Maria brachte es einen Klaps auf den Hinterkopf von ihrem Vater und den höhnischen Blick von Adelheid ein. Anna wurde schwer ums Herz, doch schnell schüttelte sie das Gefühl wieder ab.
    »Bereits vor vielen Wochen.«
    »So?« Die Verwirrung zeichnete sich noch deutlicher im Gesicht ihrer Mutter ab.
    »Aber sie wird bestimmt bald wieder hier sein«, sagte Anna schnell, um das Thema zu beenden.
    Als das Frühstück gegessen und der Abwasch gemacht war, beschloss sie, in die Stadt zu gehen, um die Angelegenheit dem Ratsherrn Hemeling vorzutragen. Wenn man sie überhaupt zu ihm vorlassen würde, konnte sie vielleicht mehr Zeit für den Auftrag herausschinden.
    Jedes Mal, wenn Anna durch eins der Stadttore von Bremen ging, war es, als betrete sie eine andere Welt. Ihr Weg führte sie durch enge Gassen und dichtes Gedränge, vorbei an Marktständen, kleinen Läden, Gauklern und Handwerkern. Beinahe jede Wegbiegung bot ein anderes Bild dieser Stadt, die ebenso bunt war wie die Kleidung, die die Menschen trugen, oder die Schichten, aus denen sie kamen. Hier tummelte sich Arm neben Reich, Gebildet neben Einfältig. In jeder Straße, durch die sie ging, nahm sie einen anderen Geruch wahr. Mal stieg ihr ein Hauch von Weihrauch in die Nase, wenn sie an einer der vielen Kirchen vorbeiging, mal roch es nach Schwefel, nach Wein, Honigstangen und Brot oder Pisse. Alles in dieser Stadt war beengend, und sogar die Häuser wirkten, als stünden sie sich gegenseitig auf den Füßen herum und kämpften um jede Elle Platz.
    Durch den vielen Regen waren die Wege aufgeweicht und schlammig, sodass Anna nur mühsam vorankam und ihr jeder Schritt schwerfiel. Sie war froh, dass sie außerhalb dieser Mauern lebte, sie mochte die allgegenwärtige Enge nicht.
    Mittlerweile waren ganze Handwerkssiedlungen entstanden, die mit jedem Jahr wuchsen. Aus einer Gasse erklangen die Hämmer der Schmiede, wenn sie ihr Eisen formten, und es roch nach Feuer und schmelzendem Metall. Dampf stieg aus den Eingängen in den wolkenlosen Himmel, und in den Pfützen spiegelte sich der Schein vieler Flammen. Die Gasse der Kürschner war die ruhigste, und sie war trotz des Regens der

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