Rolf Torring 108 - John Millners Geheimnis
er etwas gehört hätte. Der Kapitän sann vor sich hin und meinte, zunächst zögernd:
»Ich hatte einen merkwürdigen Traum heute nacht. Ich träumte, ich läge in einem dunklen Keller. Plötzlich öffnete sich die Tür. Eine große Spinne kam herein gekrochen. Jetzt, wo ich mir alles noch einmal überlege, meine ich fast, ich hätte gar nicht geträumt, sondern nur im Halbschlaf gelegen."
„Vielleicht hat man uns alle betäubt gehabt," rätselte Rolf herum. „Und Pongo, den gefährlichsten von uns, haben die Gegner, die wir noch gar nicht kennen, gefangen genommen, um uns später leichter überwältigen zu können."
Mir schien Rolfs Erklärungsversuch von weit hergeholt. Ich hoffte noch immer, daß Pongo — wie so oft— plötzlich sehr munter und lachend vor uns stehen würde. Aber meine Hoffnung schien sich nicht erfüllen zu wollen.
Nach dem Frühstück suchten wir die Umgebung noch einmal nach Spuren ab, um Pongo zu finden. Aber nichts war zu entdecken, kein zertretener Stein oder dergleichen. Durch die Luft konnte aber der Riese nicht gut verschwunden sein!
„Durch die Luft" sagte ich halblaut vor mich hin und schaute nach oben.
Da war es mir, als hätte ich zwanzig Meter über uns ein zottiges Gesicht gesehen, das blitzschnell wieder verschwand. Rolf hatte es nicht gesehen und fragte wiederholt, ob ich mich nicht getäuscht hätte.
Ich hielt einen Irrtum für ausgeschlossen und glaubte, daß ich den Meias gesehen hätte, dessen Kampf mit dem Krokodil wir am Tage vorher beobachtet hatten.
Die Felswände waren so steil, daß wir sie nicht erklimmen konnten. Kein Steg führte nach oben. Es blieb uns nichts anderes übrig, als weiter durch die ansteigenden Schluchten zu wandern.
Rolf schritt voraus. Ich ging zehn Meter hinter ihm und ließ die Höhe nicht aus den Augen. Den Schluss bildete Hoffmann, der sich oft umschaute, ob wir nicht von rückwärts verfolgt würden.
Plötzlich blieb Rolf stehen und winkte. Als wir bei ihm waren, zeigte er auf einen Steinhügel:
„Das scheint das Grab des Unbekannten zu sein.
Von hier aus müssen wir uns nordwestlich wenden, um zum Bleisee zu kommen. Vorwärts!
Die Schlucht führte in der angegebenen Richtung weiter. Wir wollten bis zum Mittag ein gutes Stück vorwärtskommen und schritten rüstig, aber gleichmäßig aus, denn der Weg stieg noch immer an.
Wir dachten alle an Pongo. Besonders Kapitän Hoffmann schien es sehr unangenehm, daß wir Pongo, unseren stärksten Mann, nicht bei uns hatten.
Da es immer wärmer und schwüler wurde obwohl wir uns zwischen den kahlen Felsen befanden. auf denen nur hin und wieder ein verkrüppelter Baum wuchs, machten wir nach dem Mittagessen eine Pause von mindestens zwei Stunden, ehe es im gewohnten Tempo weiterging.
4. Kapitel
In Gefangenschaft
Am Abend bezogen wir ein kleines, von allen Seiten, von oben durch vorspringende Felsen geschütztes Lager, losten Wachen aus, schliefen, ohne gestört zu werden, und brachen frühzeitig wieder auf. Gegen Mittag erreichten wir die Höhe, von der aus wir einen herrlichen Ausblick hatten.
Bald entdeckten wir einen oft begangenen, nach Nordwesten führenden Pfad, den wir weiterwanderten. Wir konnten von unserem Weg aus den auf dem Kamm entlangführenden Pfad übersehen. Nirgends ließ sich ein Mensch sehen. Im Laufe des Nachmittags mußten wir verschiedene kleinere Rastpausen einschieben, da Kapitän Hoffmann überanstrengt war. Gegen Abend suchten wir uns einen geeigneten Lagerplatz aus. Das Wetter war so dunstig, daß wir nicht weit sehen konnten.
Ich hatte in dieser Nacht die letzte Wache. Der Morgen brach mit klarer Sonne an. Als ich mich nach allen Seiten umschaute, entdeckte ich in der Ferne einen silberglänzenden See; das konnte nur der Bleisee sein.
Ich weckte die Gefährten und wies auf den See hin, den Rolf und Hoffmann lange durch die Ferngläser betrachteten.
„Gegen Mittag werden wir den See erreicht haben," meinte Rolf. „Vielleicht sehen wir dann bald auch Pongo wieder."
Nach dem Frühstück ging es in Richtung des silbern schimmernden Sees weiter. Würden wir hier in der Nähe den unbekannten Volksstamm finden, damit Millner zu seinem Forscherrecht kam?
Die Entfernung, in der der See lag, hatte getäuscht. Dazu kam, daß der Weg sehr beschwerlich wurde. Mittags hatten wir ihn noch lange nicht
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