Rolf Torring 125 - Der Unheimliche
gepackt und über den Abgrund gehalten. In meiner Verzweiflung ergriff ich mit der linken Hand die Pistole und richtete sie auf die unheimliche Gestalt vor mir. Aber — ich durfte ja nicht schießen.
Grauenhaft sah der Mann aus. Sein großer Kopf wirkte fast unnatürlich, und sein behaartes Gesicht erschien mir wie das eines Affen. Mit funkelnden Blicken betrachtete er mich und sagte plötzlich in gutem Englisch zu mir:
„Dein letztes Stündlein ist gekommen, Fremdling. Bete zu deinem Gott, denn sowie mein Arm mir erlahmt, wirst du in den Abgrund stürzen."
„Und ehe du mich fallen läßt, trifft dich meine Kugel," erwiderte ich und hielt ihm die Pistole direkt vor das Gesicht.
Der „Unheimliche" mußte die Wahrheit meiner Worte einsehen, denn seine Linke versuchte nun, mir die Pistole zu entwenden. Das durfte ich nicht geschehen lassen, und obwohl ich mich in einer sehr gefahrvollen Lage befand, schoß ich kurz entschlossen auf seine linke Hand und richtete sofort die Pistole wieder auf den Kopf des ,Unheimlichen".
„Hund," brüllte er auf, „das sollst du mir büßen."
Er machte wirklich Anstalten, mich in die Tiefe zu schleudern, aber meine Pistole brachte ihn doch zur Besinnung. Er wußte, daß ich noch vor meinem Sturz abdrücken konnte.
Aber ich durfte jetzt nicht schießen, denn der „Unheimliche" hätte mich dann ganz einfach fallen lassen.
Immer mehr zitterte der Arm des Unheimlichen, und ich glaubte bestimmt, daß er mich im nächsten Augenblick fallen lassen würde. Aber der Selbsterhaltungstrieb verlieh ihm Riesenkräfte. Er schien selbst nach einem Ausweg zu suchen, versuchte auch noch einmal, mit seiner linken, zerschossenen Hand nach mir zu greifen, aber sofort richtete ich meine Pistole noch genauer auf seinen Kopf. Mein rechter Arm war noch immer wie gelähmt, aber ich konnte Ihn schon etwas bewegen.
„Rolf — Rolf," schrie ich im stillen, „komm zu dir und hilf mir!"
Aber Rolf kam immer noch nicht. Er lag wohl noch am Boden und würde vielleicht erst nach Stunden erwachen.
Der Arm des Riesen vor mir senkte sich etwas, er konnte mich nicht mehr halten. Ich konnte den Rand des Abgrundes mit meinen Füßen fühlen und bekam schließlich einen Halt. Der Riese hielt mich aber dabei so, daß ich nach hinten geneigt war und sicher in den Abgrund gestürzt wäre, wenn er losgelassen hätte.
Daß ich jetzt am Rande des Abgrundes stand, war mir sehr angenehm, da der „Unheimliche" seine Kräfte schonen konnte, was mir sicher das Leben rettete, wenn er durchhielt und --- Rolf erwachte.
Und Rolf kam auch endlich.
Ich sah, wie er vorsichtig um den Felsvorsprung schaute und erschreckt stehen blieb, als er mich in dieser qualvollen Lage sah. Dann jedoch schnellte er vor, sein Pistolenknauf dröhnte hart auf den Schädel des „Unheimlichen", und — die Hand des „Unheimlichen" ließ mich plötzlich los.
Aber im selben Augenblick wurde ich von Rolf gepackt und zurück gerissen. Ich flog ihm direkt in die Arme.
Die kurze Zeit, die Rolf zu meiner Rettung gebraucht hatte, hatte dem „Unheimlichen" genügt, um spurlos zu verschwinden.
„Es hat keinen Zweck, nach ihm zu suchen, Hans," meinte Rolf schließlich. „Dieser Mensch weiß hier besser Bescheid als wir. Wir wollen zurück zur Insel und dort nach dem Rechten sehen. Vielleicht treffen wir jetzt nach der Flucht den ,Unheimlichen" dort."
„Aber wie wollen wir über den See, Rolf? Wir haben doch keinen Kahn mehr, und zum Durchschwimmen ist das Wasser viel zu kalt."
„Wir müssen eben eine List anwenden," erwiderte Rolf. „Ich werde in chinesischer Sprache, die ich ja leider nicht genau kenne, die Worte ,Komm schnell!' zur Insel hinab rufen, dann wird vielleicht ein Chinese mit einem Kahn hier erscheinen. Wenn wir erst den haben, dann will ich dort drüben aufräumen und die Leute zwingen, mir das Versteck Pongos und Professor Kennts anzugeben."
Ich glaubte nicht an ein schnelles Gelingen von Rolfs Plan. Ich war der Ansicht, daß der „Unheimliche" jetzt, nach dort drüben geflüchtet war und nun aufpasste, was wir unternehmen würden. Aber es sollte doch alles anders kommen.
Ohne Zwischenfall erreichten wir wieder das Ufer. Hier rief Rolf verschiedene Male laut auf chinesisch die Worte „Komm schnell!" über den See, die auch bald beantwortet wurden. Allerdings stellte der Mann verschiedene Fragen,
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