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Irgendwo dazwischen (komplett)

Irgendwo dazwischen (komplett)

Titel: Irgendwo dazwischen (komplett) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Freytag
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Neun Jahre zuvor…
     
    Emma
    Ja, ich bin schön. Ich bin schön, und ich bin blond. Da ist es
nicht weiter verwunderlich, dass mich kaum einer für voll nimmt. Ich habe zwei
Schwestern und einen Bruder. Und wir alle sind schön. Manche Menschen meinen,
dass das Leben einfacher wird, wenn man schön ist. Ich kann das so nicht
unterschreiben.
    Ich bin 1,76 m groß, habe lange blonde Haare und bin
gertenschlank. Ich muss dafür nicht einmal etwas tun. Kein Sport, keine
besonders gesunde Ernährung, nur gute Gene. Und trotzdem will mich keine
Modelagentur. Der Grund ist, dass ich nichts Spezielles an mir habe. Die
Maße ja, die Ausstrahlung nein. Meine Schwester Lia hat das gewisse Etwas. Sie
modelt, seit sie dreizehn ist. Und nicht nur das. Sie hatte immer sehr gute
Noten, wurde drei Mal in Folge zur Schülersprecherin gewählt und hat ein
absolut hammermäßiges Abitur hingelegt.
    Und sie ist überall. Sie ist das Gesicht der neuen
Sonnenbrillenkampagne von Gucci in Deutschland. Sie lächelt von der Instyle,
sie lächelt von der Glamour, sie lächelt von der Young Miss. Lias Lächeln ist
Erfolg. Und nicht nur ihr Lächeln. Denn als sie die Schule fertig hat,
beschließt sie, Architektur zu studieren. Und man kann sich vorstellen, dass
meine Eltern vor Stolz fast platzen.
    Dann wäre da noch Leni, die Jüngste. Mal ganz abgesehen davon,
dass die Jüngsten immer ihre Vorteile haben, ganz einfach, weil sie die
Jüngsten sind, ist Leni hochintelligent und umwerfend schön. Sie kommt nach
meinem Vater mit ihren tiefbraunen Locken. Leni würde niemals modeln wollen,
auch wenn sie ganz sicher das gewisse Etwas hätte. Sie sagt, sie würde
sich nie auf ihr Aussehen reduzieren lassen. Und auch darauf ist man stolz. Sie
spielt begnadet Klavier und Geige, sie könnte jedes Jahr die Klasse
überspringen, kurz, es gibt nichts, was sie nicht gut kann. Ihr Name ist
gleichbedeutend mit gerührten Elternblicken. Und sie ist an meiner
Schule. Schlimmer noch. Ich sitze hinter ihr im Biologie-LK.
    Und dann wäre da noch mein Bruder Elias. Der Älteste und der
einzige Sohn. Das reicht doch eigentlich schon, um stolz zu sein. Elias schaut
fast schon unwirklich gut aus, studiert Medizin und in Sachen Charme stellt er
jeden anderen Kerl locker in den Schatten. Auch er kommt nach meinem Vater.
Elias ist sowas wie der Augapfel meiner Eltern. Oder eher meiner Mutter.
    Und zu guter Letzt bin da noch ich. Ich bin niemands Augapfel.
Eher der Dorn im Auge. Ich bin schön. Und sonst nichts. Und ich bin leider
nicht schöner als eine meiner beiden Schwestern, weswegen meine Schönheit nicht
wirklich ein Trumpf ist. Ich schreibe mittelmäßige Noten, bin weit davon
entfernt, eine Klasse überspringen zu können, für das Amt der Schulsprecherin
wäre ich viel zu faul, und ich kann keine Noten lesen, weswegen auch
Rachmaninow eher nichts für mich wäre. Das heißt, ich bin keine Kate Moss, kein
Mozart, kein potentieller Stararchitekt und keine Ärztin. Ich habe keine
besonderen Interessen, außer vielleicht Kerle. Und außer Zusammenfassungen in
Reklamheftchen habe ich noch nicht ein Buch zu Ende gelesen, geschweige denn
Weltliteratur. Ich bin ganz ohne jeden Zweifel der Versager der Familie. Die,
auf die man nicht wirklich stolz ist. Das faule Ei. Das schwarze Schaf. Und das
ist scheiße.
    In der Schule ist das anders. Denn dort ich bin anders. Es gibt
kaum einen Kerl, den ich nicht haben könnte. Klar, die meisten wollen mich nur
flachlegen, aber unterm Strich ist das egal. Es ist doch so, ganz gleich, was
diese Typen in mir sehen, andere Mädchen schauen zu mir auf. Sie wären gerne
wie ich. Und wenn man zu Hause schon regelmäßig übersehen wird, dann ist es
schön, wenn das in der Schule anders ist.
    Ich bin dort nicht unsicher. Es ist, als könnte ich die unsichere
Emma bei der Tram abschütteln, und sie holt mich erst wieder ein, wenn ich auf
dem Nachhauseweg bin. Oder dann, wenn ich eine schlechte Note rausbekomme. Aber
ansonsten ist in der Schule mein Lächeln Erfolg. Und ja, zugegeben, viele
fragen mich nach meiner tollen Schwester Lia, aber von Leni nimmt keiner Notiz.
In der Schule bin ich jemand, sie nicht. Und genau deswegen liebe ich es, dort
zu sein.
    Man könnte meinen, dass ich mit meinen Geschwistern kein gutes
Verhältnis habe, aber so ist das nicht ganz richtig. Vor allem zu meinem Bruder
habe ich eine gute Beziehung. Er hält mich nicht für dumm, und er ermutigt
mich, mehr in mir zu sehen. Und auch mit Leni verstehe ich mich

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