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Roman

Roman

Titel: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeri Smith-Ready
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Zeit jemanden töten müssen?«
    Er sieht mich mit einem Mal scharf an. Und mich lässt meine Idiotie zusammenschrecken. Diese Idiotie ist ganz klar eine Folge meines angeschlagenen Nervenkostüms. Normalerweise ist es Absicht, wenn ich ein Bewerbungsgespräch verpatze. Die Tatsache, dass ich dieses Mal den Job tatsächlich haben möchte, bereitet mir Magenschmerzen.
    Davids Gesicht entspannt sich wieder. Er grinst. »Sollte nicht ich hier die Fragen stellen?«
    »Entschuldigung. Tut mir echt leid. Fragen Sie, was immer Sie wollen!« Solange Sie nichts über mich wissen wollen.
    »Warum möchten Sie gern bei WMMP arbeiten?«
    Natürlich habe ich gewusst, dass diese Frage kommen würde. Daher habe ich an einer überzeugenden Antwort gefeilt, seitdem David über die Jobbörse meines Colleges auf mich aufmerksam geworden ist.
    »Ich stehe einfach auf Rock ’n’ Roll.« Scheiße, klingt das abgedroschen! Ich reibe mir die Nase und blicke in eine andere Richtung. »Ich durfte solche Musik als Teenager nicht hören. Aber ich habe es trotzdem getan. Nachts habe ich unter meiner Decke mit dem Walkman Kassetten angehört, die ich geklau… äh, die … ich mir geliehen … na ja, die ich eben geklaut habe.« Diese Sag-die-Wahrheit-Kiste ist schwieriger als erwartet. »Na, jedenfalls habe ich mir gedacht, bei einem Lokalsender bin ich vielleicht nicht gezwungen, gleich meine Seele zu verkaufen, anders als bei einem der großen Unternehmen in der Unterhaltungsbranche. Außerdem ist morgen ja schon der erste Juni, und ich bin wirklich verzweifelt. Wenn ich nach diesem Sommer kein Praktikum vorweisen kann, kann ich meinen Abschluss nicht machen. Und wenn ich nicht bald raus aus dieser Stadt komme, dann …« Ich klappe den Mund zu, etwa drei Sätze zu spät.
    David blinzelt, blinzelt noch einmal und noch einmal. Gerade beginne ich mich zu fragen, ob die Klimaanlage seine Kontaktlinsen ausgetrocknet hat. Er seufzt, quasi durch die Nase, und gibt dabei einen Laut von sich, der wohl sagen soll: Warum nur verschwende ich meine Zeit mit diesem Mädchen? Verzweifelt und in aller Hast suche ich nach einem neuen Aufhänger für das Gespräch.
    Auf dem Schreibtisch zwischen uns steht ein Foto von einem mit Auszeichnungen geschmückten Chihuahua gleich neben einem Kalender mit dreihundertfünfundsechzig Oscar-Wilde-Zitaten. Ich schiele auf das heutige und lese: Mir sind Menschen lieber als Prinzipien, und Menschen ohne Prinzipien sind mir das Liebste auf der Welt.
    Ich blicke auf, schaue David an, dann wieder das Foto und den Kalender. »Niedlicher Hund.«
    »Oh. Äh, das ist nicht mein Schreibtisch.« Er stößt sich mit dem Drehstuhl ein paar Zentimeter von der Tischkante ab. »Das ist Franks Schreibtisch. Er ist der Leiter für Verkauf und Vertrieb, der Marketing-Chef also.« David schiebt den herzförmigen Rahmen des Chihuahua-Fotos hin und her. »Ich bin nicht … Sie wissen schon … nun …«
    Ich nehme an, das Wort, nach dem er sucht, ist ›schwul‹.
    »Gehört Ihnen der Sender?«
    »Ich bin der Geschäftsführer. Die Eigentümerin ist …«, Davids Blick wandert über meine Schulter, hin zu einer geschlossenen Bürotür, »… nicht anwesend. Tja, Terminprobleme.«
    Einen Moment warte ich darauf, dass er etwas ausführlicher wird. Aber David zupft nur an den Hemdärmeln unter seinem Sportsakko und wechselt das Thema.
    »Ich bin außerdem der Programmleiter. Sicher wissen Sie bereits, dass WMMP tagsüber vorproduzierte Talk-Shows, Infomercials und Shopping-Sendungen bringt. Nachts aber …« David blickt auf den Lautsprecher an der Wand, als ob dieser eine heilige Reliquie wäre. »Da erwacht WMMP zum Leben.«
    Soso. »Möchte Frank denn auch noch ein Vorstellungsgespräch mit mir führen?«
    »Die Personalentscheidungen des Senders treffe ich. Frank wäre gern zu uns gestoßen. Aber er verabscheut die …« Wieder huscht Davids Blick zur Treppe hinter mir. »Er verabscheut es, abends oder nachts zu arbeiten.«
    Ich werfe einen prüfenden Blick auf die wuchtige Uhr mit Holzgehäuse, die auf dem gemauerten Kaminsims steht. 21.30 Uhr. »Warum haben Sie denn das Vorstellungsgespräch auf eine so späte Zeit gelegt?«
    »Ich möchte, dass jeder Bewerber für das Praktikum die Moderatoren unserer Sendungen kennenlernen kann. Und nur um diese Zeit sind sie alle … hier.«
    Aha. Meine erste Amtshandlung als Praktikantin der Marketing-Abteilung würde der Vorschlag sein, Musik dann zu senden, wenn die potenzielle Hörerschaft auch

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