Ein Liebhaber wie Tony
1. KAPITEL
Sharon Morelli konzentrierte sich auf ihre Arbeit. Sie hängte ein zartes Negligé aus Chiffon ordentlich und in genauem Abstand zu den anderen Stücken auf den Kleiderständer. So vertrieb sie sich die Zeit, wenn nur wenige Kunden in ihr »Traumland«, ein Geschäft für Damenunterwäsche, kamen.
Sie war so vertieft, dass sie zusammenzuckte, als hinter ihr plötzlich jemand sagte: »Die Geschäfte gehen wohl schlecht?«
Sharon holte tief Luft, um sich von dem Schrecken zu erholen. Tony besaà zweifellos das Talent, immer dann aufzutauchen, wenn sie sich in einer nicht gerade vorteilhaften Lage befand. Auch nach der Scheidung hatte sich daran nichts geändert.
»Ich kann mich nicht beklagen«, antwortete sie schnippisch, dann eilte sie hinter den Ladentisch und blätterte geschäftig in alten Rechnungen, die schon längst geprüft und abgelegt worden waren.
Sharon wusste, dass Tony ihr gefolgt war und ganz in der Nähe stand. Er trug verbeulte Jeans und ein altes, weit aufgeknöpftes Arbeitshemd. Selbst das hatte Sharon in der kurzen Zeit registriert, obwohl sie es sich nicht eingestehen wollte.
»Sharon«, sagte er ruhig, aber mit der Bestimmtheit, die sein Auftreten so wirkungsvoll machte. Dieser Eigenschaft hatte er es zu verdanken, dass er nicht nur der Chef einer prächtig florierenden Baufirma war, sondern auch der Vater der beiden Kinder aus erster und zweiter Ehe.
Sharon hob den Kopf, sah Tony in die Augen und schob das Kinn leicht vor.
»Was willst du?«, fragte sie. Sie war bereit, sich gegebenenfalls zu verteidigen. Diese Woche stand es ihr zu, drei Tage mit den Kindern im Haus zu verbringen, und wenn Tony etwas dagegen hatte, würde sie um ihr Recht kämpfen.
Tony verdrehte seine ausdrucksvollen Augen und verschränkte die Arme vor der Brust.
»Beruhige dich«, sagte er mit dunkler Stimme. Seine männliche Ausstrahlung schien den ganzen Raum zu erfüllen. »Ich war gerade in der Nähe und wollte dir nur sagen, dass Marc Hausarrest hat. AuÃerdem hat der Kieferorthopäde gestern Brianas Zahnspange nachgestellt, und danach bekam sie solche Schmerzen, dass ich sie zu Mama brachte.«
Sharon seufzte und schloss für einen Moment die Augen. Wie oft hatte sie versucht, den Ãrger über Tonys Mutter herunterzuschlucken! Aber es gab Momente wie diesen, wo alles wieder hochkam. Nach all den Jahren lieà die alte Dame Sharon immer noch spüren, dass nicht sie, sondern Carmen die Mutter von Brian war.
Die schöne und perfekte Carmen, um die Mrs Morelli sen. auch jetzt noch trauerte. Vor elf Jahren war Carmen das Opfer eines tragischen Verkehrsunfalls geworden, und Tonys gesamte Familie konnte es bis heute nicht verwinden.
Zu Sharons Ãberraschung hob Tony zärtlich ihr Kinn an. »Hey!« In seiner Stimme lag ein sanfter Unterton. »Was beschäftigt dich denn so?«
Es war eine ganz normale Frage, aber Sharon konnte sie nicht beantworten, wenn sie sich nicht völlig lächerlich machen wollte. Wenn es etwas gab, womit sie sich jetzt überhaupt nicht auseinandersetzen mochte, dann war es die höfliche Missbilligung, die Maria Morelli ihr entgegenbrachte. Sharon musste sich erst umdrehen und ihre Gedanken ordnen, bevor sie Tonys Blick wieder standhalten konnte.
»Ich würde es sehr schätzen, wenn du Brian abholen und nach Hause zurückbringen würdest, sobald du mit deiner Arbeit fertig bist«, sagte sie mit dünner Stimme.
Tony zögerte. Er hatte nie verstanden, warum Sharon seine Mutter nicht mochte und nicht mehr Zeit als nötig mit ihr verbringen wollte.
»Also gut«, stimmte er schlieÃlich zu.
Als Sharon sich wieder umdrehte, war er bereits verschwunden. Augenblicklich vermisste sie ihn.
Sharon war froh, dass sie vier Stunden später das Geschäft schlieÃen konnte. DrauÃen schlug sie das Verdeck ihres Kabrioletts zurück und zwängte sich aus der engen Parklücke. Dies waren die letzten schönen Sommertage, und es wurde allmählich Zeit, mit den Kindern den alljährlichen Einkauf der Schuluniformen zu machen.
Sie fuhr vorbei an hübschen, gepflegten Häusern, idyllisch gelegenen Restaurants und einer Drogerie, die gleichzeitig als Postamt diente. Port Webster lag am Puget Sound in Washington. Es war eine malerische kleine Stadt, die sich aber langsam vergröÃerte.
Sharon befand sich auf dem Weg zu dem Haus, das Tony
Weitere Kostenlose Bücher