Roman meines Lebens: Ein Europäer vom Bosporus (German Edition)
Roman über einen fiktiven Stierkämpfer namens Amarillo – vermutlich ein ziemliches Machwerk, aber mit meinen fünfzehn Jahren schreckte ich vor nichts zurück.
Als sich nach dem Putsch von 1960 manches lockerte, wurde ein Buch des verfemten Dichters Nâzım Hikmet veröffentlicht und schlug ein wie ein Blitz. Nâzım Hikmet war eines der größten Tabus in der türkischen Gesellschaft; sein Name wurde nur flüsternd erwähnt. Auf heute nur schwer begreifliche Weise galt es lange Zeit als völlig ausgeschlossen, irgendeines seiner Bücher zu veröffentlichen. Der Journalist und Herausgeber Doğan Avcıoğlu wagte es schließlich, das Epos des Befreiungskrieges drucken zu lassen, im Großformat auf hochwertigem Papier, der Einband schwarz, die Schrift darauf rot. Vor den Buchhandlungen bildeten sich Schlangen, und jeder nahm gleich ein paar Exemplare mit. Ich selbst kaufte mir drei davon. Es verschlug mir fast den Atem, wie meisterhaft hier das Türkische verwendet wurde. Nâzım Hikmet benützte die gleichen Wörter wie wir und erschuf doch eine ganz andere Sprache.
In der Kocabeyoğlu-Passage am Kızılay-Platz in Ankara reihten sich Antiquariate aneinander. In bunter Mischung lagen dort alle möglichen Zeitschriften neben vergilbten Ausgaben von Klassikerübersetzungen, der Playboy neben Rostand und Ibsen und nicht zu vergessen die Bücher des Franzosen Michel Zévaco. In Pardaillan und Buridan wurden ähnlich wie in der Arsène-Lupin -Reihe ein Heldentum und ein Ehrbegriff zelebriert, die auf mich höchsten Eindruck machten, und das nicht ohne positive Folgen.
Ich hatte seit jeher hinter einem Ohr eine Zyste, die mir das Ohr nach vorne bog, was auf allen Kinderfotos auszumachen ist. Sie musste mir entfernt werden, und zwar in einer fünfzig Minuten dauernden Operation ohne Narkose. Da direkt am Ohr gearbeitet wurde, hörte ich das Kratzen des Messers in voller Lautstärke, als würde die Operation über Lautsprecher übertragen. Dennoch blieb ich völlig ruhig. Zwei Tage davor hatte ich nämlich gelesen, dass Pardaillan eine Schwertwunde klaglos hingenommen hatte. So wie er allem Schmerz heldenhaft getrotzt hatte, so würde auch ich das Schaben und Kratzen ertragen und keinen Laut von mir geben. Nach dem Eingriff sah der Arzt mich bewundernd an. »Alle Achtung, Junge! So was von tapfer.« Von einer Buchnarkose hatte er eben noch nie gehört …
Hemingways Bücher kannte ich so gut wie auswendig, aber einen ganz besonderen Platz nahm Der alte Mann und das Meer ein. Mir war, als würde ich den Alten, der »vom salao , vom größtmöglichen Pech verfolgt wurde«, persönlich kennen. Ich spürte das Salz des Karibischen Meers auf der Haut und hatte den Geruch der Fische in der Nase. Als ich jenes Meer mit 44 Jahren zum ersten Mal sah, kam es mir längst bekannt vor.
Zwischen der verzauberten Welt Hemingways und meinem eintönigen Leben in Ankara tat sich eine Kluft auf. In der Schule und zu Hause zerflossen mir die Tage in endloser Langeweile. Ich hielt es in der Schule kaum mehr aus. Und sprach nicht alles, was ich las, einer klassischen Schulbildung geradezu Hohn? Jack London war ein Seemann und Autodidakt gewesen (und sein autobiographisch geprägter Roman Martin Eden war eines meiner Lieblingsbücher). Hemingway hatte die Schule abgebrochen und war in jungen Jahren als Kriegsreporter für den Toronto Star nach Europa gegangen. Und hatte nicht der größte Meister der englischen Sprache, nämlich William Faulkner, im Englischunterricht versagt und war von der Schule geflogen? Obwohl ich jahrelang die Schulbank drückte, sollte ich meine Bildung nicht auf dem herkömmlichen Weg erfahren.
Neben meinem Faible für Fremdsprachen, das mit der Einschreibung in die Privatschule einsetzte, war ich auf mehreren Gebieten von einem unstillbaren Wissensdurst erfüllt und verbrachte viele Jahre nur lesend und lernend. Es war mir zum Prinzip geworden, jeden Tag etwas Neues zu lernen. Während meiner Gymnasialjahre in Ankara war ich ständig in Büchereien anzutreffen und selbst in der Ferienzeit zwischen Büchern vergraben. Fremdsprachige Lektüre war damals unter jungen Leuten noch ganz und gar unüblich.
Der Schulunterricht dagegen kam mir monoton und überflüssig vor, so dass ich ihn als aufgezwungene Formalität erachtete. Wahre Bildung war nur außerhalb der Schule zu erlangen. Ich wollte noch andere Fremdsprachen lernen, was in der Schule allerdings nicht möglich war.
In Büchern hingegen wurde von Künstlern
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