Roman meines Lebens: Ein Europäer vom Bosporus (German Edition)
einen dichten, üppigen Pinienwald. Ich erzählte den beiden, ich wolle in den Ferien zelten, denn dass ich von zu Hause weggelaufen war, konnte ich ja nicht sagen.
Nach beschwerlichem Weg kamen wir in den Fischerort, in dessen Nähe sich das Grabmal Hannibals befindet. Das allein fand ich schon aufregend, wo ich doch über Hannibal so viel gelesen hatte, aber dazu sah Eskihisar auch noch aus wie jenes berühmte Fischerdörfchen in der Karibik. Ich weinte beinahe vor Glück. Ich war in einen Hemingway-Roman geraten und hatte den Ort gefunden, an dem ich von nun an leben wollte.
Unter einer riesigen Platane am Ortseingang stand ein hübsches Kaffeehaus. Die Förster, mit denen ich den ganzen Weg über geplaudert hatte, machten mich mit dem Wirt Hasan bekannt.
»Der Junge ist aus Ankara und hat jetzt Ferien. Er bräuchte einen Platz zum Übernachten.«
Hier traf ich nun zum ersten Mal auf jene anatolische Hilfsbereitschaft, die mir noch oft im Leben aus der Patsche helfen sollte. Da ich ortsfremd war, versuchte mir jeder unter die Arme zu greifen, so merkwürdig ich den Leuten auch vorkommen mochte. Hasan ließ überall Bescheid sagen und zeigte schließlich auf ein etwas baufälliges Holzhaus auf einem Hügel außerhalb der Ortschaft. Dort lebe eine alte Frau, bei der ich erst mal bleiben könne.
Zufrieden ging ich an den Strand, zog mich dort an ein stilles Fleckchen zurück, las bis zum Abend Hemingway und genoss das Meer und die Freiheit. Als ich am Abend in Hasans Kaffeehaus gegrillten Fisch aß, hatte ich zwar einen fürchterlichen Sonnenbrand, war aber ansonsten bester Dinge.
Es war schon Nacht, als ich mich zu dem Holzhaus aufmachte. Einsam stieg ich den Hügel hinauf. Das Haus sah im Mondlicht gespenstisch aus. Plötzlich merkte ich, dass ich zwischen Gräbern lief. Mir war, als sei ich von einem Abenteuer- in einen Horrorfilm abgeglitten. Schaudernd erreichte ich das Holzhaus, dessen Tür nicht zugesperrt war. Ich trat ein. Außer dem Knarren des Holzfußbodens war kein Laut zu hören. Mit Rufen versuchte ich mich bemerkbar zu machen und hörte darauf von irgendwoher ein Wimmern. In einem Zimmer entdeckte ich schließlich eine merkwürdige Gestalt, die in ihrem Bett vom Mond beschienen wurde. Die alte Frau, von der ich später erfahren sollte, dass sie bettlägerig war, sah mich nur stumm an und wimmerte hin und wieder. Erschrocken stieg ich in den ersten Stock hinauf, legte mich ins erstbeste Bett und verbrachte eine sehr unruhige Nacht.
Beim ersten Sonnenstrahl machte ich mich davon und erklärte dann Hasan, in jenem Haus könne ich nicht bleiben. Ich teilte ihm außerdem mit, dass ich gerne das Fischen lernen würde. Hasan redete mit einem Fischer, den alle Çavuş nannten, und brachte ihn dazu, mir Arbeit zu geben. Ich sollte das Boot des Mannes reinigen, die Netze säubern und auch beim Fischen aushelfen. Begeistert fing ich an und durfte auch auf dem Boot schlafen.
In aller Frühe fuhren wir aufs Meer und warfen die Grundleine und die Netze aus. Çavuş brachte mir das Auswerfen und Einholen der Netze sowie vieles über Fischgründe und seltsame Meerestiere bei. Selbst das Harpunieren lernte ich bei ihm.
Während ich aus dem eingeholten Netz aussortierte, was nicht zu gebrauchen war und ins Meer zurückgehörte, blieb er stets in meiner Nähe. Einmal hatte ich es mit einem seltsamen grauen, steinbuttartigen Fisch zu tun, bei dem ich nicht wusste, wie ich ihn anfassen sollte. Er hatte lediglich an einer Stelle ein Loch, und als ich ihn da packen wollte, riss mir Çavuş den Arm zurück. Hätte ich zugegriffen, wäre meine Hand weg gewesen, sagte er.
Des Nachts lag ich auf dem Bootsdeck und genoss den Blick zu den Sternen, den Salzgeruch, das schillernde Meer. Ich würde für immer in Eskihisar bleiben, würde fischen und Bücher schreiben. Ein anderes Leben wünschte ich mir nicht. Mich bedrückte einzig und allein, was ich meiner Familie angetan hatte. Mochte in dem Alter meine Abenteuerlust auch noch so sehr ausgeprägt sein, so plagten mich doch hin und wieder Schuldgefühle.
Nach zwei Monaten beschloss ich, nach Ankara zu fahren und meiner Familie alles zu erklären. (Später sollte ich erfahren, dass sie mich natürlich überall gesucht hatten und vor Sorge fast umgekommen waren.) Ich ging auf dem Waldweg zurück zur Überlandstraße und fand an der Tankstelle jemanden, der mich nach Ankara mitnehmen würde. Er war Pilot und hieß Koparal. Seine Mutter saß im Fond des Wagens.
In Ankara
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