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Roman meines Lebens: Ein Europäer vom Bosporus (German Edition)

Roman meines Lebens: Ein Europäer vom Bosporus (German Edition)

Titel: Roman meines Lebens: Ein Europäer vom Bosporus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zülfü Livaneli
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damals vor Augen. Ich weiß nicht, wie ich darauf kam, doch war es bestimmt jener und kein anderer.
    1989 saß ich als Gast des mexikanischen Präsidenten Gortari im Garten von dessen Residenz, Schloss Chapultepec. Gleich neben der Laube stand ein auffallend großer Baum. Wieder war es der besondere Baum aus meiner Kindheit, und diesem am nächsten saß nun niemand anders als Gabriel Garcia Marquez. So ist das Leben voller bedeutsamer Zufälle.
    Als mein Vater von Silifke nach Amasya versetzt wurde, zogen wir in ein zweistöckiges Haus am Yeşilırmak, der jedes Jahr über die Ufer trat. Sobald das Wasser anschwoll, packten wir unsere Sachen zusammen und zogen in das höher gelegene Haus eines Bekannten. Wenn wir nach Tagen zurückkehrten, traten wir in dunklen, schmierigen Schlamm, auf dem man leicht ausrutschte und der beim Trocknen ganz rissig wurde.
    Bei einer solchen Rückkehr erblickte ich einmal ein Huhn, dessen Füße sich im trocknenden Schlamm verklebt hatten. Es zappelte verzweifelt herum, doch schien es mit dem Boden wie verwachsen zu sein. Ich träumte später oft von diesem Huhn. Eine andere gequälte Kreatur ist mir von Ankara her in Erinnerung, als ich auf dem Heimweg von der Schule ein leidendes Pferd sah, aus dessen Maul fortwährend eine weiße Flüssigkeit troff.
    In Silifke wurde ich eines Tages in ein Nachbarhaus mitgenommen, in dem ein Mann auf dem Sterbebett lag. Er wirkte wie eingeschrumpelt. Ich weiß nicht, ob ich ihn schon damals so sah oder sich dieses Bild erst entwickelt hat, aber heute steht er mir als alter Mann von der Größe eines fünfjährigen Kindes vor Augen.
    Mir blieb noch ein anderes Bild haften, als mein Vater als ermittelnder Staatsanwalt mich einmal an ein Flussufer mitnahm, an dem auf Kieseln die nackte Leiche eines ertrunkenen Mannes mit grotesk angeschwollenem Geschlecht lag. Er war der erste Tote, den ich sah.
    In Amasya wurde ich eingeschult. Aus jenen glücklichen Tagen sind mir die Kinderspiele am Yeşilırmak und die Geburt meines jüngsten Bruders Ferhat in Erinnerung. Auch weiß ich noch, wie ich zum Koranunterricht geschickt wurde, mit einem kleinen Futteral um den Hals, das eine Fibel mit den arabischen Buchstaben enthielt, die wir im Unterricht beim Hoca auswendig lernen mussten.
    Im schmucken Kino wurde für den Staatsanwalt stets eine Loge freigehalten, in die ich mich zu jeder Tageszeit setzen durfte. Ich verbrachte dort die schönsten Stunden meiner Kindheit und entwickelte eine unbändige Liebe zum Film. Vor allem während der Sommerferien sah ich manche Filme sieben-, achtmal hintereinander.
    Leider wurde meinen Geschwistern und mir unsere ganze Kindheit über eingeimpft, wir seien irgendwie anders als die anderen. Man bildete sich nicht wenig darauf ein, einer Juristenfamilie anzugehören. Die Kinder von Richtern und Staatsanwälten durften sich nicht gehen lassen. Wir hatten auf uns zu achten, um den Namen eines Dieners der heiligen Justitia nicht in den Schmutz zu ziehen.
    Eines Tages wurden sämtliche Schulkinder zu einem Demonstrationszug aufgereiht. Wir liefen durch die Straßen und brüllten aus Leibeskräften: »Zur Hölle mit Stalin!« Für uns war das eine willkommene Abwechslung, schließlich riefen wir lieber diesen seltsamen Satz, als gelangweilt im Unterricht zu sitzen. Passanten spendeten uns Beifall. Weder wussten wir etwas von diesem Stalin, noch dass er an jenem Tag gestorben war.
    Kurz danach saß ich in dem riesigen grauen, mir wie ein Raumschiff erscheinenden Buick des Abgeordneten Faruk Çöl. Wir wurden von dessen Fahrer nach Ankara chauffiert. Faruk Çöl war ein Freund meines Vaters, ein grauhaariger, sehr elegant gekleideter Großagronom. Während meiner Schulzeit in Ankara war er mein Vormund. Er heiratete später eine schöne junge Frau und wurde bald danach von seinem Hausmeister umgebracht.
    In Ankara war ich glücklich über meine Schuluniform, in der wir über den damals noch sehr vornehmen Kızılay-Platz stolzierten. Sich so gewandet in die von Exilrussinnen betriebene Konditorei neben dem großen Kino zu setzen, bedeutete allerhöchstes Vergnügen, doch konnte ich mir das fast nie leisten. Erst später sollte ich begreifen, welche Entbehrungen eine Beamtenfamilie mit schmalem Verdienst auf sich nahm, um ihr Kind auf eine solche Schule zu schicken. Dass Kinder einer Familie wie der unseren eine Privatschule besuchten, war damals nicht üblich.
    Zu Hause erwartete mich eine ganz andere Art von Unterricht. Mein

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