Romana Extra Band 6
meinem Geschäft so üblich und …“
„Darin scheinen Sie aber nicht besonders gut zu sein.“
Laurent runzelte die Stirn. „Wie bitte darf ich das verstehen?“
„Ganz einfach: Ich glaube nichts von dem, was Sie sagen. Denn wenn Sie wirklich Erkundigungen eingeholt hätten, dann hätte Ihnen auch bekannt sein müssen, dass mein Großvater verstorben ist. Darüber waren Sie jedoch nicht informiert – was dafür spricht, dass Sie nicht besonders gut sind in Ihrem Job.“ Rosalie sah, wie sich seine Züge verhärteten, ließ sich davon jedoch nicht beeindrucken und schüttelte den Kopf. Sie wollte ganz einfach nichts von dem hören, was dieser Mann zu sagen hatte, auch wenn sie es möglicherweise schon bald bereuen würde. „Bitte nehmen Sie zur Kenntnis, dass eine weitere Diskussion vollkommen unnötig ist. Denn was immer auch geschehen mag – ehe ich das Lebenswerk meines Großvaters an jemanden verkaufe, für den Sie arbeiten, friert die Hölle zu!“
Mit diesen Worten wirbelte sie herum und ließ ihn einfach stehen, um das letzte Stück bis zum Haus zu Fuß zurückzulegen.
Als Rosalie die Roseraie Baillet erreichte, erlebte sie den zweiten Schock innerhalb kürzester Zeit.
„Großer Gott, nein …“ Entsetzt starrte sie das Haus an, in dem sie als junges Mädchen gelebt hatte. Sie erinnerte sich an ein hübsches, von wilden Rosen überwuchertes Gebäude aus gelblichem Sandstein, mit Sprossenfenstern, kleinen Erkern und Türmchen. Doch das, was sich ihr da heute präsentierte, war kaum mehr als eine Ruine.
Die Fassade wies faustgroße Löcher auf, aus denen der Putz rieselte, viele der Fenster waren mit Pappe abgedeckt, weil die Scheiben gesprungen waren oder ganz fehlten. Die Farbe der Tür und der Fensterläden blätterte ab, und auf dem Dach fehlte eine ganze Reihe von Pfannen. Um zu verhindern, dass es hineinregnete, hatte jemand eine Plane über die defekte Stelle gespannt.
Rosalie war am Boden zerstört. So hatte sie sich ihre Rückkehr nach Laurins-les-Fleurs nicht vorgestellt. Wie schlimm musste es finanziell um ihren grand-père gestanden haben, dass er das Anwesen so hatte verkommen lassen?
Ihre Kehle war wie zugeschnürt, Tränen brannten in ihren Augen. Was tat sie eigentlich hier? Glaubte sie wirklich, dass sie mit dieser Reise in die Normandie Abbitte tun konnte für all die Jahre, die sie ihrem Großvater nicht zur Seite gestanden hatte?
Hör auf! Du hast keinen Grund, dich wegen irgendetwas schuldig zu fühlen! Wenn jemand allen Grund gehabt hatte, sich für sein Verhalten zu schämen, dann war es grand-père!
Das stimmte doch – oder?
„Allô? Mademoiselle? Je peux vous aider?“
Die fremde Stimme riss Rosalie aus ihrer Fassungslosigkeit. Als sie sich umdrehte, sah sie eine ältere Frau, deren Haar von einem bunt gemusterten Kopftuch bedeckt war, aus dem Garten kommen. Sie trug Handschuhe und einen grünen Arbeitskittel. In der Hand hielt sie eine Gießkanne.
Im ersten Moment wirkte sie irritiert, als sie Rosalie erblickte. Dann wechselte ihr Gesichtsausdruck von ungläubigem Staunen zu schierer Freude. „Rosalie? Bist du es wirklich?“
Rosalie blinzelte irritiert. War das etwa …? Konnte es tatsächlich sein …? „Tante Adrienne?“ Sie lächelte. „ Mon dieu , bist du es wirklich?“
„Ja, ma petite .“ Adrienne ließ die Gießkanne fallen, eilte auf Rosalie zu und schloss sie in ihre Arme. „Was für eine wunderbare Überraschung! Wie lange ist es her, dass wir uns gesehen haben? Acht Jahre? Neun? Zehn? Wie freue ich mich, dich wiederzusehen! Schade, dass François das nicht mehr miterleben durfte, er …“ Sie senkte den Blick, doch Rosalie bemerkte trotzdem, dass Tränen in ihren Augen schimmerten. „Ich kann noch immer nicht wirklich fassen, dass er tot ist. François war so ein liebevoller, herzensguter Mensch. Er hat sich immer so gewünscht, dich noch einmal wiederzusehen. Du warst sein Ein und Alles …“
Rosalie schluckte hart. Sie wusste, dass Adrienne es nur gut meinte, aber mit frommen Lügen war niemandem geholfen. Doch um der alten Zeiten willen beschloss sie, mit der älteren Frau nicht darüber zu diskutieren.
Adrienne Bonnet war nicht wirklich ihre Tante, denn sie war weder mit ihrer Mutter noch mit ihrem Vater verwandt. Doch als Haushälterin und gute Freundin ihres Großvaters war sie hier im Haus stets ein und aus gegangen. Und für Rosalie war sie lange Zeit so etwas wie eine Ersatz-Mutter gewesen. Bis zu jenem schicksalhaften Tag,
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