Romana Extra Band 6
eindringlicher werdende innere Stimme zu beruhigen, die nach Antworten verlangte. Antworten auf Fragen, über die Rosalie im Augenblick lieber gar nicht so genau nachdenken wollte.
Eines stand auf jeden Fall fest: Um einen Verkauf in die Wege zu leiten, hätte sie nicht extra nach Frankreich reisen müssen. Es wäre problemlos möglich gewesen, alles von London aus zu organisieren. Warum also hatte sie diese Reise auf sich genommen? Eine Reise in ihre eigene Vergangenheit …
Abermals war Rosalie so in Gedanken versunken, dass sie den Wagen, der hinter der Kurve mitten auf dem Weg stand und die Durchfahrt blockierte, erst im letzten Augenblick bemerkte. Erschrocken aufschreiend, trat sie auf die Bremse. Der Wagen brach zur Seite aus, als die Reifen auf dem mit Laub übersäten Schotter die Haftung verloren.
Rosalie versuchte gegenzusteuern, doch das Fahrzeug schien einen eigenen Willen zu besitzen. Alles ging unglaublich schnell. Ihr blieb gerade noch genug Zeit, sich irgendwo festzuklammern, ehe der Straßengraben dem wilden Tanz ein abruptes Ende setzte.
Die Wucht des Aufpralls drückte Rosalie so heftig in den Sicherheitsgurt, dass es ihr die Luft aus den Lungen presste. Dann wurde sie herumgeschleudert, und ihr Kopf prallte gegen die Seitenstrebe.
Sie spürte den Schmerz nicht einmal.
Um sie herum wurde es schlagartig dunkel.
„Hallo? Hallo, Mademoiselle! Nun machen Sie schon die Augen auf – ich weiß, dass Sie mich hören können!“
Rosalie spürte, wie jemand nachdrücklich ihre Wangen tätschelte. Sie murmelte protestierend, schlug die Augen auf – und blickte geradewegs in das Gesicht eines Mannes, den sie nie zuvor im Leben gesehen hatte.
Er war äußerst attraktiv.
Nein, so attraktiv nun auch wieder nicht, korrigierte Rosalie sich selbst. Sie war im Modelbusiness schon vielen extrem schönen Menschen begegnet – Frauen ebenso wie Männern. Doch die meisten Männermodels sahen auf eine sehr glatte, sterile Art und Weise gut aus. Sie waren schön, hatten aber keine Persönlichkeit.
Dieser Mann hier war anders.
Sein kantiges Gesicht wurde umrahmt von dunklem, welligem Haar, das ihm unordentlich in die Stirn hing. Um im klassischen Sinne schön zu sein, war seine Nase eine Spur zu groß, doch das bemerkte man kaum, wenn man in diese unglaublichen blaugrauen Augen blickte. Einen Moment lang vergaß Rosalie alles um sich herum und konnte ihn nur anstarren. War sie gestorben und im Himmel?
Unfug! Offensichtlich hatte er sie nach dem Unfall aus dem Wagen geholt. Sie spürte den harten Waldboden unter sich, und über ihm konnte sie das strahlende Blau des Himmels erkennen.
Als er merkte, dass sie wach war, veränderte sich der Ausdruck in seinen Augen. Besorgnis schlug um in Erleichterung und schließlich in Wut.
„ Merde! Ihr Engländer seid doch wirklich unglaublich!“, knurrte er. „Bringt man euch da drüben auf der Insel das Autofahren nicht bei, bevor man euch auf den Straßenverkehr loslässt? Nur interessehalber: Was haben Sie gerade gemacht, dass Sie meinen Wagen so spät bemerkt haben? Sich während der Fahrt die Lippen nachgezogen?“
Rosalie blinzelte irritiert. „Wie bitte?“
Er hob eine Braue. „Sie sind geradewegs auf mich zugerast, schon vergessen?“ Er sprach Englisch mit starkem französischen Akzent – eine Kombination, die Rosalie für gewöhnlich sehr charmant fand. Doch seine herablassende Art zerstörte den Effekt nachhaltig.
Vorsichtig setzte sie sich auf und betastete ihren Kopf. Zu ihrer Überraschung schien alles heil geblieben zu sein. Vermutlich würde sie morgen eine Beule und einen ziemlichen Brummschädel haben, doch dafür, dass sie mit dem Wagen in den Graben gerast war, hatte sie offenbar noch großes Glück gehabt.
„Alles in Ordnung?“ Auf einmal schien er wieder besorgt. „Sie sollten es lieber ruhig angehen lassen, Mademoiselle. Vielleicht sollte ich Sie besser in die Stadt fahren, damit sich ein Arzt Ihren Kopf ansieht.“
„ Merci beaucoup , aber auf Ihre Hilfe verzichte ich lieber“, knurrte sie und rappelte sich auf. Als sie schwankte, griff er nach ihrem Arm und wollte sie stützen, doch sie winkte ärgerlich ab. „Und ich fahre auch lieber selbst!“
„ Bon , aber ich fürchte, damit werden Sie nicht allzu weit kommen.“
Er deutete auf eine Stelle, ein Stück hinter Rosalie. Schon bevor sie sich umdrehte, hatte sie ein ungutes Gefühl im Magen.
Ein Schreckensschrei entfuhr ihr, als sie ihren Wagen erblickte. Ihr treuer
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