Romantische Nächte im Zoo: Betrachtungen und Geschichten aus einem komischen Land (German Edition)
der Grenze zu Britisch-Betschuanaland. Wenig später begann der Erste Weltkrieg.
Er erzählte als alter Mann oft von Afrika. Es waren Geschichten von Löwenjagden und Nächten am Lagerfeuer, von Schlangen, die morgens zischelnd unter dem Kopfkissen liegen, von Feuergefechten gegen den verdammten Engländer, bei Morgengrauen in der Wüste. In der Wüste lebten die Buschmänner, erzählte er, die sich abends immer auf der gleichen Körperseite in den warmen Sand legten, die andere Körperseite war nämlich gegen die Kälte abgehärtet, denn sie waren nackt, und es wurde nachts bis minus zehn Grad kalt.Manchmal gab es schwarzen Frost, das heißt, im Laufe der Nacht waren alle Pflanzen vor Kälte verdorrt und rabenschwarz geworden.
Nach dem Krieg kehrte er mit einer Sammlung von Schlangenhäuten, ausgestopften Alligatoren und Antilopenhörnern zurück und ging damit nach Ostpreußen, weil Ostpreußen seiner Ansicht nach Afrika am ähnlichsten war. Im Zweiten Weltkrieg verbrannte die Sammlung – der verdammte Russe! –, mein Großvater rettete nur einen Bestand an selbstgefertigten Aktaufnahmen einiger recht spektakulärer schwarzer Schönheiten, den er gern zeigte, allerdings nicht den Kindern.
Er wäre wahrscheinlich gern zurückgegangen nach Südwestafrika, das war nach ein paar Jahren für Deutsche wieder erlaubt. Aber er hatte inzwischen meine Großmutter kennengelernt, und die war keine Frau, die für Schlangen und Löwenjagden viel übrighatte. Manchmal dachte ich: Wenn meine Großmutter abenteuerlustiger gewesen wäre, dann wäre ich heute ein Namibiadeutscher oder Südwester oder Namibianer, davon gibt es 25 000, und es ist eine ganz eigene Sorte Mensch.
Ich dachte immer, ich möchte da mal hin.
Wenn man in Windhuk Richtung Osten losfährt, kommt auf den nächsten 200 Kilometern ein einziger Ort, Witvlei, ein paar verstreute Häuser nur, aber berühmt für seinen deutschen Karneval und seine Prinzengarde. 50 Kilometer weiter kommt Gobabis, danach kommt nichts mehr. Nur der Trans-Kalahari-Highway führt am Rand der Wüste immer weiter Richtung Botsuana, das einstige Betschuanaland. Auf der Fahrt sieht man roten Sand, gelbes Gras und die immer gleichen Kameldornbäume, die für ihr besonders hartes Holz berühmtsind, manchmal in der Ferne ein paar Rinder. Sonst nichts.
Der deutsche Radiosender bringt hinter Windhuk noch eine Weile Schlager von Freddy und Tony Marshall. Dann knistert es, und das Radio wird still. Man fährt durch ein Meer aus Land. Dünner besiedelt als Namibia ist nur die Mongolei. Diese Weite, pflegte mein Großvater zu sagen, so eine Weite kannst du dir bei uns gar nicht vorstellen.
Er war in Gobabis stationiert, dem letzten Außenposten der deutschen Schutztruppe, dem östlichsten Fort. Heute hat Gobabis 14 000 Einwohner und ist Hauptstadt der Provinz Omaheke, benannt nach jener Wüste, in der 1904, im Krieg gegen die Deutschen, ein großer Teil des aufständischen Hererovolkes verdurstet ist. Um Gobabis herum lässt die Omaheke gerade noch Landwirtschaft zu, große Rinderfarmen. Am Eingang der Stadt, die aus vielleicht einem Dutzend staubiger Straßen besteht, steht ein Denkmal, das ein Rind zeigt.
Dort, wo der Highway Gobabis wieder verlässt, gerade wie ein Lineal, befinden sich ein halbes Dutzend Tankstellen und ein paar Supermärkte. Am Rand des Highway sitzen Hererofrauen mit ihren Mützen, die wie Narrenkappen aus dem Rheinland aussehen, und versuchen, kleines, schrumpliges Obst zu verkaufen. Manchmal rasen vollbesetzte Taxis Richtung Grenze, 120 Kilometer, das ist hier nicht weit, immer Vollgas, schlingernd, unter einer roten Staubwolke. An den Kameldornbäumen lehnen Soldaten. Man sieht hier nur wenige Weiße.
Der älteste Deutsche in Gobabis heißt Eberhard Eimbeck, Rinderfarmer, Jahrgang 1922. Sein Vater kam 1904 aus Posen, »der Vadder«, sagt er. Posener Mundart, wahrscheinlich. Insgesamt sind sie nur noch zehn. Alle nicht viel jünger als er.Die Deutschen ziehen sich Richtung Küste zurück, nach Swakopmund, das ist ihre Hochburg. Swakopmund sieht aus wie eine Stadt an der Ostsee, wie Binz vielleicht, mit viel Fachwerk, Seebrücke und Leuchtturm. Sogar das Wetter wirkt ostseemäßig, oft neblig und kühl, weil der kalte Benguelastrom an der Küste vorbeifließt.
Eimbeck ist ein dünner, kleiner, schwarzbraun verbrannter Mann mit narbigen Beinen, er hat vor Jahren ein Heimatmuseum gegründet, ein kleines, unscheinbares Haus, vollgestopft mit Möbeln und Hausrat
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