Ronja Räubertochter
Mattis gesagt, und darum sprang sie am Ufer kühn und keck von einem glatten Stein zum anderen, dort wo das Wasser am wildesten toste. Schließlich konnte sie sich ja nicht im Wald davor hüten, in den Fluß zu plumpsen. Sollte das Sich-Hüten überhaupt von Nutzen sein, dann mußte sie es bei den Stromschnellen und Strudeln und nirgendwo sonst üben. Wollte sie aber zu den Stromschnellen gelangen, mußte sie den Mattisberg hinabklettern, der jäh und schroff zum Fluß hin abfiel. Auf diese Weise konnte sie sich gleichzeitig darin üben, sich auch davor nicht zu fürchten. Beim erstenmal war es schwer, da packte sie eine solche Angst, daß sie die Augen zumachen mußte. Doch nach und nach wurde sie immer wagemutiger, und bald kannte sie alle Spalten und Ritzen, wo ihre Füße Halt fanden und sie sich mit den Zehen festkrallen konnte, damit sie nicht rücklings in den Fluß stürzte.
Welch ein Glück, dachte sie, daß ich eine Stelle gefunden habe, wo ich mich davor hüten kann, in den Fluß zu plumpsen, und mich gleichzeitig üben kann, keine Angst zu haben!
So vergingen ihre Tage, Ronja hütete sich und übte eifriger, als Mattis und Lovis ahnten, und schließlich wurde sie so geschmeidig und stark und furchtlos wie ein gesundes kleines Tier. Sie fürchtete sich weder vor den Graugnomen noch vor den Wilddruden, weder davor, sich im Wald zu verirren, noch in den Fluß zu fallen. Aber noch hatte sie nicht damit begonnen, sich vor dem Höllenschlund zu hüten, doch das wollte sie bald tun.
Die Mattisburg hatte sie nun bis hinauf zur Mauerkrone erforscht. Sie fand sich in allen öden Sälen zurecht wo außer ihr niemand je seinen Fuß hinsetzte, und sie verirrte sich nicht in den vielen unterirdischen Gängen, dunklen Höhlen und Kellergewölben. Die geheimen Gänge der Burg und die geheimen Pfade des Waldes, jetzt kannte sie sie alle und fand sich überall zurecht. Am liebsten aber war sie im Wald, und dort streunte sie den lieben langen Tag herum. Wenn aber der Abend kam, und die Dunkelheit zog herauf, und das Feuer brannte im Kamin in der Steinhalle, dann kehrte sie heim, müde von all dem Sich-Hüten und Sich-
Üben des Tages. Zu dieser Zeit kamen auch Mattis und seine Räuber von ihren Raubzügen zurück, und Ronja saß mit ihnen vorm Feuer und sang mit ihnen ihre Räuberlieder. Von ihrem Räuberleben aber wußte sie nichts. Sie sah zwar, wie sie des Abends mit Lasten auf den Pferderücken heimgeritten kamen, mit vielerlei Waren in Säcken und Lederbeuteln und Kisten und Kästen. Doch woher sie all dies hatten, sagte ihr keiner, und es kümmerte sie ebensowenig wie sie danach fragte, woher der Regen kam. In der Welt gab es so vieles, das hatte sie ja gemerkt.
Bisweilen hörte sie, wie von den Borkaräubern geredet wurde, und dann fiel ihr ein, daß sie sich auch vor ihnen hüten sollte. Bisher aber hatte sie noch keinen getroffen. »Wenn Borka nicht so ein Hundsfott wäre, könnte er mir fast leid tun«, sagte Mattis eines Abends. »Die Landsknechte des Vogts jagen ihn im Borkawald, und dieser Borka hat keine ruhige Stunde mehr. Bald räuchern sie ihn wohl aus seinem Räubernest aus, jaja, aber er ist nun mal ein Hosenschisser, also macht es nichts, aber immerhin!«
»Alle Borkaräuber sind Hosenschisser, die ganze Rotte«, sagte Glatzen-Per, und darin stimmten ihm alle zu. Ein Glück, daß die Mattisräuber so viel besser sind, dachte Ronja. Sie sah ihnen zu, wie sie da an ihrer langen Tafel saßen und ihre Suppe schlürften. Bärtig waren sie und schmutzig und streitsüchtig und wild.
Doch keiner sollte ihr kommen und sie Hosenschisser nennen! Glatzen-Per und Tjegge, Pelje und Fjosok, Jutis und Joen, Labbas und Knotas, Turre und Tjorm, Sturkas und Klein-Klipp, sie alle waren ihre Freunde und würden für sie durch Feuer und Wasser gehen, das wußte sie.
»Da lobe ich mir unsere Mattisburg«, sagte Mattis. »Hier ist man sicher wie der Fuchs in seinem Bau und der Adler in seinem Horst. Sollten hier irgendwelche Hornochsen von Landsknechten Streit suchen, ja, dann fahren sie allesamt zum Donnerdrummel, und das wissen sie!«
»Schnurstracks zum Donnerdrummel mit einem Furz«, bekräftigte Glatzen-Per zufrieden. Und alle Räuber gaben ihm recht und lachten bei dem bloßen Gedanken daran, wie schwachköpfig einer sein mußte, der versuchen wollte, in die Mattisburg einzudringen.
Uneinnehmbar von allen Seiten lag sie dort auf ihrem Felsen. Nur an der Südseite wand sich ein schmaler, kleiner Reitpfad den Berg
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