Rosen für eine Leiche (German Edition)
ich sprach.
»›Herrenhaus‹«, wiederholte ich, »kennen Sie nicht?«
»Nee. Sollte ich?«
»Ach geh weiter, kennst du nicht?«, sagte die kühle Blonde ungefragt
aus dem Hintergrund und wickelte sich eine Locke um den Finger. »Diese Talkshow
im Bayerischen. Kommt sonntags um dreiundzwanzig Uhr zwanzig. Supersendung,
›Herrenhaus‹.« Sie schaute auf die Uhr. »Heut ist Sonntag«, sagte sie wie
überrascht und rief nach einem Mann mit grauem struppigem Haar, der allein am
übernächsten Tisch saß. »Luggi, komm, wir gehen.«
Kurz darauf vernahm mich der Kollege Scholl vom K1 als Zeuge. Die
Routinefragen: Zeitpunkt, Wahrnehmungen, Details, mögliche Auffälligkeiten. Zum
Abschluss fragte er: »Und was ist Ihre Meinung dazu?«
»Ach Scholl«, sagte ich, »das fragen Sie doch nur
höflichkeitshalber. Sie wollen meine Meinung doch gar nicht wissen. Sie haben
ja eine eigene.«
Mit großen Augen sah er mich an. »Ihnen bedeutet die Sache
anscheinend nicht sehr viel?«, fragte er. »Sie wissen doch, wie wichtig jedes
Krümelchen ist. Vielleicht haben Sie etwas bemerkt, was uns weiterbringen kann.
Sie mit Ihrer Münchener Erfahrung. Wär doch schön, wenn Sie uns ein bisschen
helfen würden, Herrschaftszeiten.«
Das letzte Wort hatte er laut gesprochen. Doch gleich dämpfte er die
Stimme wieder und hielt mir die Hand hin:
»Oder?«
Ich nahm die Hand.
Ich merkte, dass ich zu weit gegangen war. Natürlich hatte ich
draußen am Fundort vieles gesehen, was nach einer Deutung verlangte. Etliches,
was ich noch nicht verstand, ebenso wenig wie Scholl. Die Art, wie die Leichen
dalagen. Und irgendetwas war mit den Rosen. Einer, der jemanden tötet,
dekoriert die Leiche mit Rosen. Warum macht er sich die Mühe? Er will etwas
sagen. Aber was – und wem?
Vorerst wollte ich diese Gedanken jedoch für mich behalten. Sie waren
noch zu unausgegoren. Nicht klar genug, um sie dem Kollegen anzuvertrauen.
Und – hatte ich mir nicht vorgenommen, jeden Mord zu ignorieren, der mir
vor die Füße fiel? Also gemach, gemach, Ottakring!
Nichtssagend antwortete ich: »Absolut. Wenn mir was einfällt, sag
ich’s Ihnen.«
Scholls Blick durchbohrte mich. Eine Weile überlegte er. »Wie Sie
wollen«, sagte er schließlich und entließ mich.
Die Enttäuschung war ihm anzumerken.
Ich aber wollte »Herrenhaus« nicht verpassen.
Tatsächlich kam ich gerade heim, als die Livesendung
begann. Lola hatte sich Charles Bardot vorgenommen, den für seine provokante
Art berüchtigten Schauspieler. Lolas brauner Pagenschnitt glänzte im
Scheinwerferlicht, sie trug ein blaues Kleid mit schmalen Trägern, das ich noch
nicht kannte, meine Rosenkette aus Strass um den Hals und sah über die Maßen
gut aus.
Und sie war auch gut. Bardot versuchte sie herauszufordern, doch sie
kam fabelhaft mit ihm zurecht. Ich war stolz darauf, dass diese Frau meine
Partnerin war. In einer früheren Sendung hatte sie einmal das Kürzel LAG für unsere Verbindung verwendet.
»Was bedeutet das?«, hatte ich sie danach am Telefon gefragt.
»Kennst du nicht?« Sie lachte spitzbübisch.
»Lebensabschnittsgefährte. Weiß doch heutzutage jedes Kind.«
Wieder mal hinterm Mond gewesen. Ich weiß genau, mit mir hat man’s
nicht leicht. Doch ich hab mich nicht auf diese Welt bestellt. Ich hab mich
einfach vorgefunden und mich auch erst im Lauf der Jahre an mich gewöhnen
müssen.
Jedenfalls sahen wir uns in der weiteren Entwicklung immer seltener,
Lola und ich. Doch jedes Mal landeten wir im Bett. Ein Glöckchen klingelte, und
wir stürzten uns aufeinander. Die Lust aneinander hielt uns zusammen. Wir
stritten heftig, doch dann fanden wir uns schwitzend und keuchend auf dem Rücken
liegend wieder. Uns war klar, obwohl wir nie darüber redeten: Wir schafften es
nicht, auseinanderzugehen. Also blieben wir zusammen.
In diesem Augenblick, als sie mich aus dem Bildschirm heraus
anlächelte, war ich wieder einmal von ihr fasziniert. Ich liebte Lola sehr.
Ich war nie der Typ gewesen, der mit Charme um sich wirft oder quer
durch den Saal flirtet. Lola Herrenhaus und ich haben uns vor vier Jahren sehr
unspektakulär in der Münchener Stadtbibliothek im Gasteig kennengelernt, als
Lola fünfunddreißig war. Sie war beim Aufstehen mit der Stirn gegen einen
Lampenschirm gestoßen. Ich ergriff die Chance und stillte die Blutung. In jener
Zeit arbeitete sie für die Süddeutsche Zeitung, bekam dann kurz darauf eine
Stelle als Radiomoderatorin im Bayerischen Rundfunk. Seit zwei
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