Rosen für eine Leiche (German Edition)
gegen die Mauer gerannt, um
mich zu bestrafen, wäre da nicht meine geliebte Frau Steiner noch einmal
angetrabt gekommen. Diesmal mit Sohn.
Harry Steiner hatte ein vernarbtes Gesicht, was von falsch
behandelten Pickeln in seiner Jugendzeit herrühren mochte. Meistens trug er
weite, bestickte Trachtenhemden und weite, knöchellange Hosen aus Hirschleder.
Diese Landhausmode war im Grunde ebenso untypisch für Bayern wie DJ Ötzi für die Volksmusik. Doch im Rosenheimer
Land war sie der Renner, vor allem zur Zeit des Herbstfests.
»Ein Mensch ist ein Mensch«, sagte Harry ungefragt. »Aber ein Hund
ist nur eine Sache, rein rechtlich gesehen, wissen Sie. Nur wenn er jemanden
beißt, zum Beispiel meine Mutter, dann fällt das unter Gefährdungshaftung, und
Sie müssen für den Schaden aufkommen. Im Staatsdienst weiß man so was.«
Das wollte ich alles nicht wissen, die Rechtslage eines Hundehalters
war mir geläufig. Harry war immer freundlich und hilfsbereit zu mir gewesen,
doch er war schwer einzuschätzen. Seine Mutter hatte mir einmal voller Stolz
berichtet, dass ihr Sohn »im Staatsdienst« sei. Ich wollte nicht nachfragen,
was er denn genau beruflich machte, es interessierte mich zu diesem Zeitpunkt
auch nicht. Morgens fuhr er regelmäßig mit seinem Opel Astra weg. Abends kam er
wieder heim, meistens eher spät. Jedenfalls würde es schwer werden, in dieser
Nachbarschaft einen Hund zu halten.
Doch mein Wunsch war stärker. Einfach mal schauen. Um Punkt halb
zehn klingelte ich am Tor des Rosenheimer Tierheims. Der Tag versprach heiß zu
werden. Ich hatte den Leiter des Tierheims vorher angerufen. Er wusste schon,
dass ich ein ähnliches Tier haben wollte wie den schwarzen Wuschelhund in
Liebermanns Biergarten.
Ich hatte etliche Knäste für verurteilte Menschen von innen gesehen.
Dies war mein erstes Tierheim. Neben zwei Rhesusaffen, einem Lama und einem
diabetischen Kaiman gab es nur Hunde, fast ohne Ausnahme Mischlinge. Hier etwas
vom Schäfer, dort so etwas wie ein Pudel, ein bisschen was weiß-schwarz
Gepunktetes im Zwinger neben zwei rötlichen Afghanen-Verschnitten, eine Art
Basset mit durchhängendem Bauch, ein Rudel goldiger Chihuahuas, ein riesiger
Neufundländer mit zerkautem Sportschuh im Maul, der mich anwinselte, als er mich
sah.
Scholl würde sich in diesen Stunden darum kümmern, ob die Leichen
als vermisst gemeldet waren. Fürs Erste würde er eine Anfrage an die
Vermisstenstelle des LKA und Fahndungsschreiben an die
örtlichen PI s richten. »Ich bin kein Optimist«,
hatte Scholl gesagt, »es gehört immer ein bisschen Glück dazu.« Wie wahr.
Mein Hund kauerte im vorletzten Zwinger. Er besaß alle Merkmale
eines Berner Sennenhunds, nur war er kurzhaarig. Weiße Maske, weiße Schuhe,
weiße Schwanzspitze. Dunkelbraune Augen, die mich an Lola erinnerten, wenn sie
mich manchmal fragend ansah. Er hatte den Kopf auf die gekreuzten Pfoten
gelegt. Der Hund war vier Jahre alt und hieß Hotzenplotz.
Ich nahm ihn mit.
Kurz vor der Autobahn hielt ich an. Ich hatte überlegt, ob ich ihm
den Namen lassen sollte, aber »Hotzenplotz« war mir zu lang und zu kindisch.
»Mozart« war zu süßlich. Lola hätte vielleicht an »Hindemith« gedacht. Ich
holte mein Aftershave aus dem Handschuhfach, träufelte ein paar Tropfen auf
seinen glänzend schwarzen Scheitel und taufte ihn »Herr Huber«.
Herr Huber saß auf dem zerknautschten Ledersitz neben mir, als ich
in die A8
Richtung Salzburg einfuhr. Um heim nach Neubeuern zu kommen, hätte ich bald
wieder abbiegen müssen. Doch ich war so in Gedanken, dass ich erst kurz vor dem
Chiemsee aufwachte. Nein! Ich wollte mich nicht um diese Toten im Kahn kümmern.
Meilenweit wollte ich mich fernhalten von ihnen. Der Hund würde mich genügend
beschäftigen. Und die garantiert fällige Diskussion mit den Anwohnern.
Aber wenn ich schon einmal in der Nähe war.
Vier Minuten später knirschten die Reifen meines alten Porsche über
den Kiesparkplatz von Liebermanns Biergarten.
»Noch in der Nacht haben sie die Leichen wechgebracht«,
sagte Liebermann. Er war wieder in seiner Jägerkluft. Ich konnte mich nicht
erinnern, ihn jemals in einem anderen Anzug gesehen zu haben. Wir gingen durchs
Lokal auf die Seeseite. Im Biergarten war alles picobello aufgeräumt. Es
stellte sich heraus, dass der schwarze Hund, der zwischen den Tischen
herumstrich, Liebermann selbst gehörte und so hieß, wie er aussah, nämlich
Wuschel. Herr Huber freundete sich sofort mit ihm an. Beim
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