Rosen für eine Leiche (German Edition)
Angeln benutzt.
Der Hund hatte sich in ein Stück Holz verbissen, das aus dem Kahn
ragte. Knurrend zerrte er daran. Ich fand, dass ich eingreifen musste, zog die
Schuhe aus, stieg ins flache Wasser, angelte nach der Bugleine, deren loses
Ende im Wasser vorausschwamm, und zerrte den Kahn an Land.
Liebermann schien kriminologischen Instinkt zu besitzen, denn er
tat, was sich gleich darauf als das Richtige erweisen sollte: Er scheuchte eine
Handvoll Neugieriger weg.
Im Innenraum des Kahns hatten sich einige dürre Zweige ineinander
verhakt, wie die Finger zweier Hände sich verhaken. Schemenhaft zeichnete sich
darunter etwas ab.
Liebermann meldete sich zu Wort. »Diese Zweige hat bestimmt der
Nachtwind angeweht. Das macht der öfters. Im und am See. Weiß der Henker, wie.«
In diesen Tagen herrschte die gelbe Pollenpest, die es nur alle
sieben Jahre gibt. Man merkte es daran, dass die Äste und der ganze Kahn mit
gelbem Blütenstaub bedeckt waren. Als ich das Geäst und die Blätter vorsichtig
zur Seite räumte, heftete sich der feuchte Staub wie Schminke an meine Arme.
Ich zog den oberen Teil weg.
Köpfe kamen zum Vorschein. Zwei Köpfe, die zu Menschen gehörten, die
auf dem nassen Boden des Kahns lagen. Eine Frau und ein Mann – beide tot.
Die Frau war jung, vielleicht Ende zwanzig. Sie hatte ihr Haar
hochgesteckt, vage war dezent aufgetragener bläulicher Lidschatten zu erkennen.
In brutalem Kontrast: das Loch in ihrer Stirn.
Das Alter des Mannes konnte man möglicherweise an dem weißen
Haarkranz bestimmen, nicht aber am Gesicht. Dessen rechte Hälfte fehlte bis zu
den Wangen.
Ich warf einen Blick zu Liebermann hinüber. Seine Augen richteten sich
verwirrt auf mich, so, als ob es an mir wäre, das Rätsel zu lösen. Ein Rätsel,
das keine gute Lösung versprach.
Ich neigte den Kopf und schloss die Augen. Ein plötzlich
auftauchender stechender Schmerz in meiner Brust drohte mich zu zerreißen. Er
zog bis an die Kehle hinauf. Mein Körper reagierte auf ein Gefühl der Panik,
als sei ich zu dicht an einen Abgrund geraten.
Erst kurz zuvor war ich in dieses Rosenheimer Land gezogen. Weil ich
im Ruhestand meine Ruhe haben wollte und weil ich nie mehr im Leben einen
menschlichen Kadaver sehen wollte. Jahre um Jahre in der Münchener
Mordkommission zu ermitteln, Stunden um Stunden in der Pathologie zu
verbringen, das zehrt auf Dauer an den Nerven.
Und jetzt das.
Ich holte so heftig Luft, dass Liebermann, der ein paar Meter halb
links hinter mir stand, es bemerkt haben musste und besorgt mit einem Tuch zu
mir herüberwinkte. Sein Gesicht war weiß und um die Nase grünlich. Einen kurzen
Moment lang glaubte ich, er werde ohnmächtig. Er wischte sich mit dem Tuch über
die Stirn. Doch als er das Tuch sorgfältig gefaltet und über den Arm gelegt
hatte, hatte er sich wieder im Griff. Mit der für ihn typischen Art versuchte
er sein Entsetzen zu überspielen:
»Eine einzige Vergnüchung für Sie bei uns hier am Chiemsee, nich?«,
rief er mir in einem Anflug von tapferer Ironie vom Ufer her zu.
Ein lautloses, hechelndes Lachen stieg in mir hoch. Der Krampf in
meiner Brust war weg. Ich zerrte vorsichtig an dem Geäst wie an einem Vorhang,
um mir ein Blickfeld zu verschaffen.
Beide Körper waren nackt. Der Mann umklammerte mit der Rechten eine
Pistole. Die Waffe zog meinen Blick an. Sie war selten und ungewöhnlich. Ich
kannte das Modell, ein Irrtum war ausgeschlossen: Der Tote hielt eine
Neun-Millimeter- SIG- Sauer- P -226 in der Hand.
Sechzehnschüssig, fast ein Kilo schwer im ungeladenen Zustand.
Es dauerte ein paar Momente, bis ich meine Augen von der Waffe lösen
konnte.
Die Frau hatte eine zerbrechlich wirkende Figur und bildete einen
herben Kontrast zu dem bauchlastigen, schwammigen Altmännergebilde neben ihr.
Sie ruhte auf der rechten Seite, an die Schulter des Mannes geschmiegt, als ob
sie friere. Ihre toten Augen starrten blicklos in den Himmel, die blutleeren
Lippen wie im Traum geöffnet. Der linke Arm lag über ihrem Oberkörper und berührte
den rechten Ellbogen. Dazwischen kleine Brüste, deren halbdunkle Nacktheit die
verschämte Haltung noch mehr betonte, mit der sie sich unter die Zweige
verkrochen zu haben schien.
»Mein Gott«, rief Liebermann, »dat sind ja Rosen. Rosen.«
Tatsächlich hielt die Frau eine rote Rose in der rechten Hand, deren
Rücken den Oberschenkel des Mannes oberhalb des Knies berührte. Weitere Rosen
waren unregelmäßig über den nackten Körper
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