Rosendorfer muss dran glauben (German Edition)
gar nicht von oben herab, sondern eher eingeschüchtert.
»Sie haben doch meinen Ausweis gesehen! Oder sind Sie blind?! Mein Name ist Jimmy Doyle vom MADN , Sektion für Internationale Rauschmittelabwehr, und Sie wissen ja gar nicht, in was für eine Scheiße Sie sich da hineingeritten haben.«
»Was ist denn überhaupt los?«, fragt der zweite Kontrolleur, jetzt schon komplett verunsichert.
»Na, das Mädchen.« Moritz zeigt auf die Kleine, die immer noch heult und nicht den blassesten Schimmer hat, was hier gerade abgeht. »Sie ist der Köder für einen der größten Drogenbosse der Republik. Der Scheißkerl ist der Bruder der Kleinen. Mann, Mann, Mann, seit zwei Jahren bin ich dem schon auf den Fersen, und jetzt kommt ihr Pappnasen und vermasselt das alles, nur weil unser Goldkind ihr Schülerticket zu Hause vergessen hat.«
Die beiden sehen wirklich betroffen aus, weil sie im Gegensatz zu mir nicht wissen, dass es überhaupt keinen MADN gibt und eine Sektion für Internationale Rauschmittelabwehr erst recht nicht. Das geht den anderen Passagieren, die die eindrucksvolle Vorstellung staunend beobachten, nicht anders. Mit weit aufgerissenen Augen und offenen Mündern verfolgen sie das Spektakel, um kein Detail zu verpassen, das sie später beim Abendbrot dann zum Besten geben können.
»Jeder verdammte Junkie, der ab jetzt noch an diesem Scheißzeug von diesem Scheißbruder der Kleinen krepiert, geht glasklar auf eure Scheißkappe!«, erklärt Moritz zum Finale gnadenlos und zieht die Kleine von ihrem Sitz hoch. Wortlos deutet er mit dem Kinn auf den Boden, wo immer noch das Zeug von dem Mädchen verstreut liegt. Mit hochrotem Kopf knien sich die beiden Männer hin und sammeln alles brav wieder ein. Dann geben sie der Kleinen die Tasche zurück.
Gemeinsam mit Moritz geht sie zum hinteren Ausgang, und ich finde es schön zu sehen, dass Moritz’ Geschichten auch mal einen praktischen Wert haben. Weil der Bus gerade eine Haltestelle erreicht hat und sich hinten die Türen öffnen, spaziert er mit ihr einfach so nach draußen, ohne sich weiter um die Kontrolleure zu kümmern.
Moritz und das Mädchen gehen ein paar Meter auf dem Bürgersteig, bis er der Kleinen ein »Und jetzt lauf!« zuflüstert. Im nächsten Moment rennen sie auch schon los. Sie nach links, Moritz nach rechts, und spätestens da kapieren sogar die zwei Kontrolettis, dass sie soeben ganz übel verarscht worden sind. Aber da ist der Bus schon wieder angefahren, und so bleibt ihnen nichts weiter übrig, als völlig sinnlos gegen die Scheiben zu schlagen und Moritz schlimmste Verwünschungen hinterherzubrüllen.
Ich spare mir die Mühe, Moritz hinterherzuhetzen, und bleibe einfach sitzen. Ich weiß ja sowieso, wo ich ihn wieder treffe. Heute Abend, beim Versöhnungsessen mit Anne bei ihrem Lieblingsitaliener.
11 / 10 / 2015 – 20 : 30 Uhr
Anne und ich sitzen schon eine ganze Weile bei dem Italiener und warten. Sie an ihrem, ich an meinem Tisch. Anne knabbert an den Pizzabrötchen, die ihr der Kellner als Appetizer auf die rot-weiß karierte Tischdecke gestellt hat. Sie schaut immer wieder genervt auf die Uhr, weil Moritz sich mal wieder verspätet hat, und das ist nicht das erste Mal. Er sollte jetzt lieber kommen, sonst wird der Abend noch unangenehm. Das kann ich an Annes gerunzelten Augenbrauen und der tiefen Falte auf ihrer Stirn ablesen.
Sie muss trotzdem noch eine weitere Viertelstunde durchhalten, ehe Moritz endlich auftaucht und gut gelaunt durch den Laden zu ihrem Stammplatz hinten in der Ecke geht. Dort, wo sie ungestört sind.
»Du bist wieder mal zu spät«, begrüßt Anne ihn kühl.
»Du glaubst nicht, was mir gerade passiert ist …« Moritz gibt ihr einen Kuss, ohne auf den gereizten Ton in ihrer Stimme einzugehen.
»Nein, glaube ich dir auch nicht. Egal, was es war«, erwidert sie, und jetzt hat auch Moritz eine Falte auf der Stirn.
»Tut mir leid«, sagt er und setzt sich.
»Das sagst du immer«, antwortet Anne und lässt dabei offen, ob sie seine Entschuldigung annimmt oder nicht.
Die beiden bestellen: Moritz eine Pizza Diavolo und ein Bier, Anne wie immer einen Salat mit Putenstreifen und dazu ein Glas Weißweinschorle. Ich kenne den Laden, die zwei sind hier häufiger, und wenn ich etwas empfehlen darf, dann sind das die Gnocchi in Gorgonzolasoße.
Wenn man sie an ihrem Tisch so betrachtet, könnte man glauben, da säße ein rundum glückliches Pärchen, das im Schein einer Kerze beim gemeinsamen Essen
Weitere Kostenlose Bücher