Rosendorfer muss dran glauben (German Edition)
das tut, merkt man, dass die zwei sich kennen. Kein Wunder, es ist ja auch Moritz’ und Annes Stammkneipe. Oder sollte ich besser sagen: war?
»Willst du einen guten Rat, Moritz? Anne ist klasse, lass sie nicht laufen. Die weiß, was sie will«, sagt der Kellner, der natürlich auch alles beobachtet hat. Darauf habe ich schließlich kein Monopol. Den Streit zwischen den beiden hat jeder in dem Laden mitbekommen.
»Toller Tipp. Wenn ich Hilfe brauche, ruf ich die Telefonseelsorge an, okay? Ich will einfach nur bezahlen. Geht das?«, erwidert Moritz scharf.
Der Kellner hebt abwehrend die Hände, will sagen: Ist ja schon gut.
Moritz reicht einen Zwanzigeuroschein über die Theke. Als er nach den restlichen Münzen kramt, fällt ihm die Visitenkarte des Schlipsträgers aus der SonderBar in die Hände. Moritz betrachtet sie einen Moment, dann steckt er sie wieder weg. Von der Seite wird er von dem Besoffenen angequatscht.
»Ich habe auch so eine«, stammelt der Ramazzotti-Junkie und zeigt auf die Karte. »Von der Merkel, echt! Nee, halt. Ist gar keine Visitenkarte, ist ’ne Autogrammkarte. Aber weißt du, weißt du, wie die Merkel sich ihre Leute ausguckt? Also, wenn die jemanden einstellen will, wie die das macht. Weißt du das?«
»Keine Ahnung«, murmelt Moritz desinteressiert.
»Die geht mit denen Mittagessen, und wenn die nachsalzen, ohne vorher zu probieren, haben die echt keine Chance auf den Job. So ist das.«
»Sehr interessant«, erwidert Moritz sehr, sehr desinteressiert.
Moritz schiebt zwei Eurostücke über den Tresen.
»Der Rest ist für deine klugen Ratschläge«, sagt Moritz und sieht den Kellner an.
Der sagt nichts mehr und nimmt das Geld. Nur der Kerl neben Moritz lässt immer noch nicht locker.
»Ist wirklich wahr, hat ein Freund meinem Neffen erzählt, und der Freund, der hat da im Kanzleramt bei der Security gearbeitet.«
»Klar ist das wahr. Schönen Abend noch.«
Moritz verlässt die Pizzeria und fährt nach Hause.
11 / 10 / 2015 – 23 : 34 Uhr
Wenn man beim Film einen Ausstatter beauftragen würde, eine Studentenbude nachzubauen, sähe die genauso aus wie Moritz’ Wohnung. Als Bett dient eine Matratze, die ohne Lattenrost einfach auf der Erde liegt, in der Spüle stapelt sich schmutziges Geschirr mit den hellgrünen Resten von Pestonudeln, und der Rechner läuft im Vierundzwanzigstunden-Modus. Auf dem fleckigen Teppichboden liegen überall Klamotten und Bücher verstreut, die meisten davon aufgeschlagen, und an den Wänden hängen ein paar Kunstdrucke unter einfachen Glasrahmen. Ein bisschen Picasso, ein bisschen Matisse, ein bisschen van Gogh. Nichts Außergewöhnliches also. Dazwischen hat er mit Reißzwecken Zeitungsartikel an die Raufaser gepinnt, in denen es um skurrile Begebenheiten aus aller Welt geht. Meldungen wie:
Python verschlingt koreanischen Reisbauern bei lebendigem Leib
oder
Baby überlebt Schleudergang in Waschmaschine
.
Das Erste, was Moritz tut, ist, sein Telefon zu suchen. Es dauert eine Weile, bis er es unter einer alten Jeans findet. Danach kontrolliert er, ob ein Anruf auf seinem AB ist. Ist aber keiner drauf. Er nimmt extra den Hörer hoch, um zu prüfen, ob das Gerät funktioniert. Dann checkt er noch sein Handy, aber auch da findet sich keine Nachricht von Anne. Zumindest nehme ich mal stark an, dass es das ist, worauf er wartet.
Woher ich das alles weiß? Ich stecke ganz sicher nicht im Schrank, das machen nur Amateure, und da wäre auch gar kein Platz für mich, weil der mit wertlosem Gerümpel vollgestopft ist. Ich benutze Nanokameras, Wanzen, Bewegungsmelder – die sind in den letzten Jahren alle immer winziger geworden und mit bloßem Auge kaum noch zu erkennen. In Moritz’ Zimmer und an seiner Kleidung ist mehr Hightech-Schnickschnack versteckt, als in den Regalen eines durchschnittlichen Elektromarkts lagert. Die Nanokameras senden ihre Bilder und Töne per Funk direkt auf meinen Laptop, drahtlos und in Echtzeit. Wo er hingeht, gehe auch ich hin, so einfach ist das.
Nicht, dass ich der Typ wäre, den man anruft, wenn der Computer kaputt ist. Aber so kompliziert ist das Zeug nun auch wieder nicht. Das kann jeder anbringen, und außerdem bekommt man das heute alles mit drei Tagen Lieferzeit nach Hause gebracht. Dann muss man nur noch eine günstige Gelegenheit abpassen, um das Zeug unauffällig einzubauen, und schon ist man umfassend im Bilde, wie man so schön sagt.
Moritz legt sein Handy auf ein kleines Tischchen, das er sich vom
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