Luna, Seelengefährtin - mein Hund, das Leben und der Sinn des Seins
Die Haltbarkeit des Hundes
A m Tag danach beobachte ich, wie sie ihre Nase einem Gebilde in der feuchten Wiese nähert, mit dem ich keine Bekanntschaft machen möchte. Sie wedelt, und ich freue mich. Ihre Rute – mein Stimmungsbarometer. Mein Hund tut etwas, das mir nie in den Sinn käme, und … macht mich froh. An diesem frühen Septembermorgen … über den See wabern lang gezogene Nebelschwaden … begreife ich, dass mich Luna lieben lehrte. Wie sonst soll ich es nennen, wenn ich ein Verhalten, das mir eigentlich zuwider ist, nicht nur ak zeptiere, sondern mich sogar darüber freue, weil sie sich freut? Und das bedingungslos. Ist das nicht ein Merkmal echter Liebe?
Hunde, so dozierte die Trainerin in der Welpenschule, können nicht lieben. Wir glauben das nur, weil wir es uns wünschen. Oder weil wir uns schämen?
Vielleicht ist die Treue, die man Hunden nachsagt, nichts anderes als eine in Fell gekleidete Liebe. Es ist mir egal, ob mein Hund mich liebt. Ich jedenfalls liebe ihn. Diesen schwarzen, weichen, manchmal semiduftenden, mit Begeisterung abschleckenden Seehund mit den schönen braunen Augen. Wobei ich jetzt nicht aufzählen werde, warum meiner der tollste Hund der Welt ist, denn das kann jeder Hundebesitzer.
Die Zeit mit dem tollsten Hund der Welt scheint sich dem Ende zuzuneigen. Statistisch sowieso. »Die Haltbarkeit des Labradors«, hörte ich kürzlich im Radio, »beträgt zehn bis vierzehn Jahre.« Aber statistisch ist noch lange nicht gefühlt, wie ich aus der Vorhersage des Wetters weiß. Und was bis vor wenigen Tagen als statistischer Wert nichts mit meinem Leben zu tun hatte, bringt es als Diagnose zum Einstürzen. Nicht nur bei mir.
»Ich habe des Öfteren darüber nachgedacht, warum Hunde ein derart kurzes Leben haben, und bin zu dem Schluss gekommen, dass dies aus Mitleid mit der menschlichen Rasse geschieht; denn da wir bereits derart leiden, wenn wir einen Hund nach zehn oder zwölf Jahren verlieren, wie groß wäre der Schmerz, wenn sie doppelt so lange lebten?«
Sir Walter Scott
Luna ist der schwarze Schatten einer Schriftstellerin. Bei vielen meiner Bücher hat sie mich begleitet und sich auf langen Spaziergängen angehört, was im nächsten Kapitel geschehen soll oder warum das aktuelle Kapitel noch einmal neu durchdacht werden muss. Sie hat sich dabei stets in Zurückhaltung geübt, doch schnurgerade die richtige Fährte verfolgt, und wenn wir nach Hause kamen und sie ihre Faksimiles großzügig auf dem Fußboden verteilte, wusste ich immer, wie es weitergeht.
Jetzt weiß ich das nicht. Und es tut unendlich weh, obwohl sich eigentlich nichts geändert hat: Der Hund ist derselbe, nur gibt es nun eine schwarze Wolke über ihm, wie eine Überschrift, und ich starre auf die Prophezeiung. Das ist der erste Fehler. Schau nicht auf das Etikett. Schau, was drin ist, ermahne ich mich.
Ein kräftiges Herz und ziemlich viele Muskeln. Eventuell ein paar Dinge, die nie ans Licht kommen werden, wie mein verschollener Fahrradschlüssel. Hast du einen Hund, hast du einen Sündenbock. Der Hund macht es dem Menschen leicht. Mit dem kann man nämlich nicht diskutieren. Ich finde es jetzt nicht so toll, dass du mit schmutzigen Pfoten über die hellen Fliesen tappst. Musst du dich gerade hier schütteln? Also lässt man das bleiben. Es wäre entspannend, auch für die Beziehung zu anderen Menschen, wenn man nicht erwarten würde, das Gegenüber müsste einen verstehen.
Achte nicht auf die Angst. Vergiss, was sein könnte. Es könnte auch anders sein. Schau genau hin. Luna liegt in ihrem Korb und schläft wie immer nach dem Frühstück, und manchmal zucken ihre Pfoten im Traum. Sie weiß nichts von dem Ding, das in ihrer Milz entdeckt wurde, das da nicht hingehört. Knapp drei Zentimeter groß, ein Zufallsbefund nach einem Schlangenbiss, den sie, wie durch ein Wunder, überlebte. Sie ist ganz die Alte. Aber leider zu alt. »Mit fast zwölf Jahren hat sie doch ein schönes Alter erreicht«, meinte die Tierärztin.
Ich bin die Große. Ich bin die Chefin. Als Rudelführerin habe ich jede Situation unter Kontrolle. Das erwartet Luna von mir, dann fühlt sie sich sicher. Sie muss nicht entscheiden, ich entscheide. Gehen wir nach rechts oder links, bleibt sie vor dem Obstgeschäft neben den Kirschen oder Blumen sitzen, legt sie sich in ihren Korb oder darf sie Frisbee spielen, was fällt in den Napf?
Das alles entscheide ich.
Ich werde auch entscheiden, ob sie die Todesspritze bekommt. Und wann und
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