Rosendorfer muss dran glauben (German Edition)
sehen, wie die gute Laune aus Annes Gesicht verschwindet. So, wie die zarten, weißen Wolken an einem schwülen Sommertag von Unheil kündenden Gewitterwolken verdrängt werden. Und auch hier droht gleich eines, das spüre ich.
»Ach Moritz … Du kapierst gar nichts, oder?!«, seufzt Anne, und damit scheint sie voll ins Schwarze getroffen zu haben, denn Moritz antwortet nur: »Wieso? Was ist denn los?«
»Geschichten. Alles, was dir einfällt, sind Geschichten!« Anne hat wieder angefangen, Kerzenwachs zwischen ihren Fingern zu kneten.
»Hallo? Es gab Zeiten, da fandest du das toll, dass ich nicht nur Zahlen im Kopf habe, so wie die anderen«, verteidigt sich Moritz, der beleidigt mit seinem Löffel spielt. Mit dem Zeigefinger lässt er ihn immer auf und ab wippen. TOK , TOK , TOK .
»Aber das reicht doch nicht. Nicht für eine Zukunft!«, sagt Anne.
»Was denn für eine Zukunft?«
»Na, eine gemeinsame! Was glaubst du denn?! Darüber reden wir doch die ganze Zeit. Ich bin nicht wie du, ich brauche auch Sicherheit. Wenigstens ein bisschen.« Mit dem Daumen presst sie die Wachskugel auf die rot-weiß karierte Tischdecke.
»Ich bin Autor, da gibt es keine Sicherheiten«, erwidert Moritz trotzig und lässt den Löffel weiterwippen.
Er wippt, sie knetet. Kneten, wippen. Das kann nicht lange gut gehen, und das erkennt sogar der Kellner, der sich nähert, um die Teller abzuräumen, dann aber schnell wieder abdreht, weil er die Spannung am Tisch auf fünf Meter Entfernung spürt.
»Autor?! Wo veröffentlichst du denn? Moritz, wach auf! Dein Zeug erreicht die Leute doch nur, wenn du es irgendwelchen Porzellanpüppchen ins Höschen steckst.«
Das hört sich jetzt vielleicht ein bisschen hart an, und so ist Anne sonst eigentlich gar nicht. Aber Moritz hat sie einfach schon zu oft versetzt und enttäuscht. Das können auch tausend tolle Geschichten nicht wiedergutmachen.
»Du bist kein Autor, Moritz. Du bist … Du bist …« Anne sucht nach den richtigen Worten. »Du bist jemand, der sich komische Geschichten ausdenkt, die keiner hören will. Und, verdammt noch mal, hör endlich auf, die ganze Zeit mit dem blöden Löffel zu wippen!«
Beim letzten Satz ist sie richtig laut geworden und hat Moritz dabei den Löffel aus der Hand gerissen. Jetzt starrt sie ihn an. In ihren Augen ist eine seltsame Mischung aus Wut, Trauer und Enttäuschung, und wenn sie wollte, könnte sie bei den anderen Gästen Eintritt kassieren. Es gibt keinen im ganzen Laden, der ihr nicht gespannt zugehört hat.
»Ist Geld denn alles, was zählt?«, fragt Moritz etwas hilflos, und das sind so Augenblicke, wo man ihn einfach mögen muss. Zumindest, wenn man keine gemeinsame Zukunft mit ihm plant.
»Du willst es nicht verstehen. Du willst es einfach nicht«, erwidert Anne. Ihre Wut ist verflogen. Sie sieht nur noch enttäuscht und traurig aus.
Für einen ewig langen Moment schauen sich die beiden schweigend an.
»Ich glaube, es ist besser, wenn wir uns eine Zeit lang nicht sehen. Tut mir leid, Moritz«, flüstert Anne mit erstickter Stimme, als der ewig lange Moment vorbei ist. Sie hat Tränen in den Augen, das kann ich sogar von meinem Platz aus sehen, aber noch schafft sie es, sie zurückzuhalten. Dann steht sie, ohne ein weiteres Wort zu sagen, auf und läuft aus dem Lokal, vorbei an den glotzenden Gästen, vorbei an mir, und genau in dem Augenblick beginnen auch ihre Tränen zu laufen.
Moritz bleibt sitzen. Er greift wieder nach dem Löffel und lässt ihn auf und ab wippen, weil er nicht weiß, was er sonst tun soll. Es dauert eine Weile, bis er versteht, was ich schon vor fünf Minuten kapiert habe. Hier ist gerade eine Beziehung zu Ende gegangen. Es ist aus und vorbei, und wenn ich ehrlich bin, kann ich Anne verstehen. An ihrer Stelle würde ich mich auch nicht auf einen Traumtänzer verlassen wollen. Nicht, dass ich Moritz nicht mag. Ich mag ihn, und das kann ich wahrlich nicht über jedes meiner Zielobjekte sagen. Aber er ist eben nicht der Typ, mit dem ein Mädchen seine Zukunft planen kann. Er ist mehr der Typ für einen netten, unterhaltsamen Abend. Das ist gar nicht böse gemeint, sondern nur, was ich so denke, und eigentlich geht mich das Ganze einen Scheißdreck an.
Nach einer Viertelstunde steht Moritz endlich auf und geht an die Theke, um zu bezahlen. Neben dem Kellner lehnt ein Besoffener am Tresen und kippt seinen siebten Ramazzotti. Der Kellner sieht auf, als Moritz ihn erreicht hat, und nickt ihm zu. An der Art, wie er
Weitere Kostenlose Bücher