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Rosenpsychosen

Rosenpsychosen

Titel: Rosenpsychosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna-Maria Prinz
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Gnocchi (»Knotschi« nannte man sie in Sachsen, wie sich herausstellte) und Nudeln mit Pesto. Eine Farce, dieses Essen. Wie sollte man auf dieser Basis als engagierte Kinderärztin den ganzen Tag Leben retten? Nur für Hühner geeignet, die immer reinhauten, als ginge es um Sein oder Nichtsein, und Magersüchtige, die beim Essen wichtige Telefonate führten und sowieso keine Geschmacksnerven hatten. Sie hatte noch nie so versalzene Nudeln gegessen und ging nach drei Gabeln hinaus, um der alten Lungenklinik vielleicht zu einem Comeback zu verhelfen. Die Maskenbildnerin, der man ansah, dass Rauchen in Verbindung mit Maskenbilden die Haut altern lässt, leistete ihr Gesellschaft. Sie sah aus wie sechzig, machte auf fünfzig und war wahrscheinlich vierzig. Marie warf die Zigarette weg und trottete wieder in ihr Komparsenkabuff.
    Guten Tag, Tristesse, dachte sie und kauerte sich an die kalte Heizung, entschlossen, das Gute an diesem Tag wieder aufflackern zu lassen. Vierzig Seiten am Stück, wieder vorwärts. Wirklich ein guter Tag, zumal er sich anschickte, zur Neige zu gehen. Es wurde langsam dunkel, auch in der Höhle, denn für Komparsen war kein Strom vorgesehen. Nur auf dem Flur flackerte die Notbeleuchtung. Die einzige Holzbank auf dem Flur war jedoch mit Grammattos und Hühnern besetzt, obwohl sie auch im Dunkeln auf ihrer Stange hätten bleiben können, denn sie lasen nicht. Marie wollte keinen Streit über die ungebührliche Inbesitznahme von Leseplätzen vom Zaun brechen und hockte sich auf den Flurboden unter eine Flackerlampe.
    Inzwischen waren die kranken Kinder eingetroffen, die in ihren Bademänteln und Hausschuhen auf dem Flur auf und ab rannten oder ihre Nintendos stressten. Einige pennten auf den Schößen ihrer Eltern. Marie fror und hatte Hunger.
    Fünfunddreißig Leute tanzten, sabbelten oder schliefenum sie herum. Es fühlte sich an, als hätten sie alle den Flieger verpasst, säßen nun hier auf dem Linoleum herum und würden alle zwei Stunden über einen Lautsprecher zur Information gerufen. Na toll, dachte sie, flog sie also seit Neuestem Holzklasse. Spaß machte das überhaupt nicht. Wie ihr die Leute zum Halse heraushingen, die immer betonten, Geld allein mache nicht glücklich, wozu brauche man schon ein dickes Auto und so weiter. Bezeichnenderweise behaupteten das immer die Leute, die kein Geld für ein dickes Auto hatten und jedes Wochenende unter ihrer alten Möhre lagen, um etwas daran zu reparieren. Die sich jeden Tag in einem beschissenen Büro oder einer Werkstatt herumdrückten, wo sie für jemanden, der Geld hatte, Akten oder Schraubenschlüssel hin und her trugen, um danach bei Wind und Wetter mit der Straßenbahn die Kinder einzusammeln, die sich viel zu enge Zimmer teilen mussten – die Leute, die mit schöner Regelmäßigkeit konstatierten, es gehe ihnen blendend. Warum spielten die dann eigentlich alle Lotto? Einige dieser Komparsen hier waren doch bestimmt Familienväter, und Marie fragte sich, welche Frau wohl noch zu ihnen aufsah respektive mit ihnen ins Bett ging.
    Bei Martin war das etwas anderes. Er war einfach nach zwanzig Jahren Erfolg Knall auf Fall die Treppe runtergerasselt. Das hatte mit den Gepflogenheiten in der Branche zu tun und war wenigstens mit ordentlicher Lautstärke vonstattengegangen. Jawohl, wenn schon arm, dann schallend! Und sie war einfach zu verwöhnt gewesen, sich zur rechten Zeit um etwas Eigenes zu kümmern – warum auch, es war wirklich nicht nötig gewesen.
    Marie bekam Sehnsucht nach ihren Kindern und gab den Plan auf, sie bei einer Komparsenagentur anzumelden, damit sie sich in Zukunft ihre Wochenendeinkäufe selbst verdienen konnten. Viel zu kostbar waren sie und ihre Bademäntel.Wieder dreißig Seiten. Immer ruhiger wurde es. Viele waren schon nach Hause geschickt worden, darunter Nummer eins, die nun gar nicht zum Zuge gekommen war. Aber Marie musste bleiben, denn für die letzte Aufnahme wurde sie noch gebraucht. Auch Knotschi war weg. Knotschi hatte sich so höflich bei ihr persönlich verabschiedet, dass sie bereute, sich nicht mit ihr unterhalten zu haben. Sie hätte ja Sächsisch mit ihr sprechen können – das konnte sie eins a –, und das wäre sogar sehr höflich gewesen, hätte sie Knotschi doch ihre schließlich nicht selbst verschuldete Fehlprägung für einen Augenblick vergessen lassen. Eine gute Tat wäre es gewesen, von der sie Martin hätte berichten können. Das hatte er angeregt: ab und zu eine gute Tat zu vollbringen,

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