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Rot Weiß Tot

Titel: Rot Weiß Tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Salomon
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los?«
    »Da begeht jemand nicht einfach Morde. Ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Im besten Fall haben wir es mit einem Perversen zu tun.«
    »Dann musst du nach Perversen suchen.«
    »Woran soll ich sie erkennen?«
    »Vielleicht an kleinen Ticks. Wer ist die Tote?«
    »Olga Dacia.«
    »Die Sekretärin ohne Gesicht und Namen?«
    Bei der Erinnerung an die Erde in Olga Dacias Haar fröstelte Albin wie am Tatort. »Genau die.«
    »Hast du heute trotzdem Zeit?«
    »Ich kann vor Montag ohnedies nichts tun.«
    »Es soll kühl, aber sonnig werden«, stellte nun auch Sarah fest.
    »Wann kann ich dich abholen?«
    »Meine Eltern wollen mit mir frühstücken. Passt es dir um elf? Oder willst du noch schlafen?«
    »Ich bin nicht müde.«
    Albin duschte ausführlich. Anschließend brachte er den Film vom Heidentor zum Entwickeln in ein Schnelllabor in der Kettenbrückengasse. Das Labor des Verlages war am Wochenende geschlossen. Für sein nächstes Gespräch mit May wollte er besser gerüstet sein und die Bilder vorher gesehen haben. Er kreuzte das Format »dreizehn mal achtzehn‹ und die Variante ›glänzend‹ an. »Wann kann ich die Bilder abholen?«, fragte er die Frau hinter dem Ladentisch.
    Die verzog ihr blasses Gesicht. So früh am Tag wurde sie anscheinend nicht gerne gedrängt. »In einer Stunde, wie es auf unserer Tür steht.«
    »Gut.«
    Auf die Art konnte er Sarah pünktlich abholen und zwischendurch noch im Café Ritter frühstücken. Er überquerte das Wiental und folgte der Strecke des 13 A zu dem Kaffeehaus.
    Im Ritter verabredete er sich nie zu beruflichen Terminen. Es war seinem Privatleben vorbehalten. Seit er in der Mariahilfer Straße wohnte, ging er mindestens einmal die Woche hin. Er fürchtete allerdings den Moment, in dem ihn die Ober jovial wie einen Stammgast begrüßen würden. Dann würde es an der Zeit sein, das Lokal zu wechseln.
    Hinter der Schwingtür, in dem hohen Raum mit den gelblichen Wänden, veränderte sich auch an diesem Tag die Atmosphäre seines Lebens. Seit seinem frühmorgendlichen Aufbruch zum Heidentor hatte er alles mit dem Tempo eines Gejagten getan. Nun glitt er in die Zeitebene des Alltags zurück, der hier im Ritter beschaulich war: Die Tische waren wegen der frühen Stunde erst spärlich besetzt, die Kellner waren von der gewohnten knorrigen Höflichkeit und die Zeiger der altertümlichen Wanduhr drehten sich wie gewöhnlich viel langsamer als alle anderen Uhrzeiger der Welt.
    Er nahm auf einer weinroten Polsterbank Platz und schlug eine der bereits an Holzbügeln hängenden Morgenzeitungen auf. Der Ober quittierte die zunehmende Häufigkeit seiner Besuche nicht mit plumper Vertraulichkeit, sondern bloß mit einer Nuance in seinem »Guten Morgen«. Zufrieden bestellte Albin schwarzen Tee mit Zitrone und eine Buttersemmel.
    Über den zweiten Heidentor-Mord würde erst in den Abendausgaben berichtet werden. Jetzt befassten sich die Schlagzeilen mit dem Wiener Fußballderby vom Vortag und seinen neun Toren. Drei Spieler waren nach einer problematischen Entscheidung vom Platz gestellt worden. Die Verlierermannschaft forderte die Annullierung des Resultates. Ein populistischer Stadtpolitiker verlangte die strafrechtliche Verfolgung des Schiedsrichters. Der Schiedsrichterverband protestierte dagegen.
    Albin trank seinen Tee, hörte auf das Quietschen der Schwingtür, das Klappern des Geschirrs und die von den Kellnern an die Küche weitergemurmelten Bestellungen. Die Welt war wieder in Ordnung. Bald konnte er sich nicht mehr vorstellen, dass irgendwo in dieser Stadt ein irrer Mörder herumschlich und dass seine Bilder, die gerade entwickelt wurden, etwas anderes als römische Sehenswürdigkeiten, Marke Schulbuch, zeigen würden.
    Das taten sie aber. Nach Ablauf einer Stunde schob Albin in dem Fotolabor ein Bild hinter das andere. Die schlechte Belichtung schadete den Aufnahmen tatsächlich nicht: Das Entsetzen schimmerte im billigen Glanz der Abzüge mit. Der Kies war noch heller und die Nacht noch schwärzer als in Wirklichkeit. Die Arme der Toten waren Schatten, die Tore zu den düstersten Winkeln der Phantasie öffneten.
    Bei der Durchsicht bemerkte Albin den ängstlichen Blick der eben noch so trotzigen Verkäuferin. Sie hatte sich ans andere Ende des Ladentisches zurückgezogen, als litte er an Mundgeruch.
    Albin wusste von einer anderen Recherche, dass Mitarbeiter in Fotolabors bei Darstellungen von Kinderpornographie Meldung erstatten mussten. Wahrscheinlich galt

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