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Rot Weiß Tot

Titel: Rot Weiß Tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Salomon
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gefallen.«
    »Was werde ich sehen?«
    »Verdammte Scheiße. Sehen Sie selber nach. Oder muss ich Ihnen Händchen halten?«
    Ich werde mich nicht erschüttern lassen, dachte Albin beim Losstapfen. Er war bloß der Wind, der über alles wehte.
    »Schaltet endlich das idiotische Blaulicht aus«, schrie Bergmann hinter ihm. »Das macht mich noch verrückt.«
    Der Platz um das Tor war mit einem roten Plastikband an eisernen Spießen abgesperrt. Im Licht eines Scheinwerfers der Spurensicherung war der Kies strahlend weiß. Er sah aus, als wäre er sorgfältig Steinchen für Steinchen gewaschen, gebleicht und poliert worden. Das ganze Kiesbett war glatter als sonst, wenn tagsüber Schüler und Touristen durchstapften und die Köpfe in den Nacken legten, um das Tor zu bewundern. Jemand hatte sich viel Mühe gemacht, es zu ebnen. Zuvor hatte er sich allerdings noch mehr Mühe gemacht, genau in der Mitte unter dem Tor ein Grab auszuheben.
    Der penible Totengräber hatte auf grauenhafte Weise selbst für die rasche Entdeckung der seltsamen letzten Ruhestätte gesorgt: Zwei nackte Arme ragten aus dem Kies, ebenso weiß wie er. Sie wuchsen aus dem Boden wie seltsame Pflanzen. Es sah aus, als versuchte das Opfer unter der Erde den hinter den Wolken unsichtbaren Mond zu umarmen.
    Dass es schon seine zweite Leiche war, schwächte Albins Entsetzen um nichts ab. Er kämpfte gleichzeitig gegen Wut, Verzweiflung, Trauer und Hoffnungslosigkeit. Er fühlte sich schwach und hilflos. Am liebsten wäre er einfach davongelaufen. Er wollte sich auf der kahlen Ebene verirren, bis er nicht einmal mehr wusste, wer er war. »Wer ist das?«, fragte er, als Bergmann neben ihn trat.
    »Wenn es sich nicht um einen besonders zierlichen Transvestiten mit einer Vorliebe für farblosen Nagellack handelt, ist es eine recht klein gewachsene Frau«, sagte Bergmann.
    »Olga Dacia?«
    Der Polizist zuckte die Schultern und nickte.
    »Verdammte Scheiße.«
    »Sehen Sie«, sagte Bergmann und biss in einen Apfel. »Das habe ich gemeint.«
     

 
    Kapitel 9
     
    Mit einem Schlag verschwand das Blaulicht. Albin hatte eben noch gehofft, dass alles nur Einbildung war. Dass sich Schlieren aus finsteren Albträumen mit dem Nebel ausgebreitet hatten. Dass vielleicht alles nur ein Trick mit einer Kunststoffpuppe war.
    Er hatte gehofft, dass er nicht vor einem wahnwitzigen Spiel mit einer Leiche stand, dass nicht eine Tote mit zynischer Liebe zum Detail wie ein Kunstwerk inszeniert worden war.
    Doch das Verschwinden der Kreisellichter rückte die trübe Wirklichkeit der Herbstnacht hautnah an ihn heran und machte das Grauen endgültig: Die blass aus dem Kies ragenden Arme waren aus Haut, Fleisch und Knochen. Die rechte Hand war vom Todeskampf verkrampft. Die linke war geöffnet, als winkte Olga Dacia zum Abschied.
    Ich bin Journalist, dachte Albin. Das hatte etwas Erleichterndes. Dieser Wahnsinn war nicht für ihn bestimmt. Er schrieb nur darüber.
    Er schaltete das Blitzlicht seiner Kamera ein und wartete auf das Aufleuchten des roten Punktes an der Rückseite. Er beugte sich weit über das Plastikband der Absperrung. Niemand kümmerte sich um ihn. Bis auf den Chefinspektor aus der Rossauer Kaserne schienen auch alle Beamten vor Entsetzen gelähmt zu sein.
    Nach zweimaligem Abdrücken hatte Albin der Batterie der kleinen Kamera die letzte Kraft geraubt. Jetzt erst brach allmählich Hektik aus. Zwei weitere Fahrzeuge kamen an. Ein Fotograf der Spurensicherung drängte Albin beiseite und nahm mit einem starken Blitz jeden Millimeter des Tatortes auf. Ein zweiter Beamter filmte alles mit einer handlichen Digitalkamera. Rufe und blecherne Stimmen aus Funkgeräten wurden laut. Ab und zu läutete ein Handy.
    Auf einmal bemerkte Albin das Pferd. Es stand im Schatten des Heidentores am Rand des großen Parkplatzes. Es war vor einen hölzernen Wagen gespannt, der wie eine Requisite aus einem Heimatfilm aussah. »Was soll das alles?«, murmelte er. Niemand hörte ihn. Er wollte ein Bild von dem Pferd machen, doch jetzt spielte die Batterie endgültig nicht mehr mit.
    Im Wagen spulte er den Film zurück. Das Heidentor verwandelte sich inzwischen in eine Baustelle. Bergmann dirigierte das Geschehen wie ein Feldwebel. Neben der Grabstelle wurden schwarze Plastikplanen ausgelegt. Der Mann mit der Schaufel hob den Kies ab. Er arbeitete sorgsam wie ein Unfallchirurg bei einer Operation. Jemand rief vergeblich nach einer weiteren Schaufel.
    Albin zückte einen Notizblock und durchsuchte

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