Rot Weiß Tot
das auch für alle andere Verbrechen. Ungefragt zeigte er deshalb seinen Presseausweis vor. »Das sind Aufnahmen von einem Tatort, an dem ich recherchiert habe. Falls Sie sich Sorgen gemacht haben.«
Die Verkäuferin schielte über Albins Schulter zur Ladentür. »Es tut mir Leid …«, fing sie an.
Albin ließ sie nicht ausreden. »Sie haben ganz richtig gehandelt«, sagte er, gab ihr seine Karte, zahlte rasch und ging. Für heute hatte er genug von Uniformierten.
Seine Eile war berechtigt. Beim Wegfahren sah er im Rückspiegel einen Ford der Polizei vor dem Labor halten. Zwei Beamte stiegen aus. Sie hatten ihre Schirmmütze so tief ins Gesicht gezogen, dass sie nur mit weit in den Nacken gelegtem Kopf geradeaus blicken konnten.
Um eine unnötige Großfahndung zu verhindern, wählte er Bergmanns Handynummer. Er konnte ihn nicht erreichen. »Hinterlassen Sie bitte keine Nachricht, denn ich kann sie nicht abhören«, sagte die Tonbandstimme des Chefinspektors.
»Sie wissen, dass Sie Arko nicht füttern dürfen«, mahnte die Hundepflegerin des Tierheimes am Großenzersdorfer Rand der Donauauen. Während Arko winselnd an Albin hochsprang, betrachtete die Frau mit den rot gefärbten Schnittlauchhaaren misstrauisch Sarahs blauen Nylon-Rucksack.
»Natürlich«, sagte Sarah freundlich. »Kein Füttern und kein Mitnehmen im Auto.«
Die Leute vom Tierheim sahen es nicht einmal gerne, dass Albin und Sarah immer dasselbe Tier ausführen wollten.
Die Pflegerin steckte ihre Hände in die blaue Kleiderschürze. »Sie würden dem Hund keinen Gefallen tun. Er würde denken, er hätte schon ein neues Herrchen gefunden.«
Albin hakte die Leine an Arkos Halsband. Wie die meisten Hunde hier war Arko von Tierfreunden auf der Straße aufgelesen worden. Auf der rechten Vorderpfote hatte er eine kahle Stelle, die er sich ständig aufriss. Die Pflegerin vermutete, dass dort früher einmal Kanülen gesteckt hatten und Arko als Versuchstier in einem Labor missbraucht worden war.
»Wir werden alles richtig machen«, versprach Albin, obwohl das halb gelogen war: Es war auch verboten, die Tiere von der Leine zu lassen. Doch beim letzten Ausflug hatte er festgestellt, dass Arko zu ihnen zurückkam, wenn sie ihn frei laufen ließen.
Die Pflegerin gab sich zufrieden. »Dann wünsche ich einen schönen Tag.«
Zwischen Eschen, Ulmen und schlanken Eichen mit Misteln in den Kronen gelangten Albin, Sarah und Arko zu einer hölzernen Brücke. Von dort gingen sie tiefer in die Au hinein. »Die sind so streng hier«, sagte Sarah.
»Heimleiter eben.«
Sarah klopfte auf ihren Rucksack. »Ich habe Jausenbrote dabei.«
»Und Hundekekse?«
»Ja, schon. Blöde Vorschriften.«
Albin beunruhigte es, wenn Sarah wie jetzt mit seinem alten Lebensstil kokettierte. Er lernte von ihr das Leben ohne Kollisionen mit Regeln, den umgekehrten Prozess hielt er für überflüssig. »Arko sollte sich tatsächlich nicht zu sehr an uns gewöhnen«, wandte er ein.
»Ich hab es dir schon mal gesagt: Du hast bloß Angst vor der Verantwortung.«
»Ich könnte ihn gar nicht nehmen.«
»Wieso eigentlich nicht?«
»Ich lebe in der Stadt.«
»Das Studio ist größer als manches Haus samt Garten.«
»Vielleicht muss ich dort bald ausziehen.«
»Nomaden hatten immer Tiere bei sich.«
»Willst du etwa einen Hund haben?«
»Wieso ich?«
Der Boden neben der Forststraße wurde allmählich weicher. Schwarz- und Silberpappeln lösten die Eichen ab. Mit einem Seitenblick auf Sarah ließ Albin Arko von der Leine und teilte mit ihm den Schauder, der sich im Moment der Befreiung einstellte. Der Hund hopste ein paarmal im Kreis um sie herum und schoss dann ins Unterholz.
Die Sonne hatte ihr Versprechen vom Morgen gehalten und erhellte zumindest die Gemüter, wenn sie schon nicht die Körper wärmte. Albin steckte noch sein Abenteuer der letzten Nacht in den Knochen. Als die Oberfläche eines Altwassers durch die Uferweiden glitzerte, wurde er müde.
Er kannte das Gewässer von einem Ausflug Anfang September. In der Zeit hatten sich noch Nacktbader an den kleinen Buchten zwischen dem dichten Ufergestrüpp getummelt, während sich im grünen Wasser bereits weiße Herbstwolken gespiegelt hatten. Heute waren nur wenige Ausflügler da, die Steine springen ließen oder die richtige Stellung ihrer Gesichter zur Sonne suchten.
Albin und Sarah rutschten über das steile Ufer zu einer schmalen Schotterbank hinunter, auf der sich Albin am liebsten gleich zum Schlafen ausgestreckt
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