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Rot Weiß Tot

Titel: Rot Weiß Tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Salomon
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Rest des Tages saß er wie auf Nadeln. Er kümmerte sich um die Seite mit den Kurzmeldungen, löschte E-Mails von PR-Agenturen und sah alle fünf Minuten auf die Uhr: Er hatte eine heiße Spur aufgenommen. Entweder hatte Bergmann Olga Dacias Namen absichtlich verschwiegen, oder er, Albin, hatte ungeheures Glück und war der Polizei schon voraus.
    Um vier Uhr rief ihn Frank Gregoritsch auf dem Handy an. Er klang gut gelaunt. »Sind Sie weitergekommen?«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Heiße Informationen plaudert man nicht aus, man schreibt sie in die Zeitung, nicht wahr?«
    »Ich bin ganz am Anfang, und eigentlich bin ich Wirtschaftsjournalist.«
    »Ich weiß. Ich wollte Ihnen sagen …«
    Der Anruf des Betriebsrates im Festnetz unterbrach sie. »In fünf Minuten bitte«, sagte Albin zu dem Gewerkschafter, dann war er schon wieder bei Gregoritsch. »Was wollten Sie mir sagen?«
    »Sie könnten mit meinem ehemaligen Partner über die Ferienlager sprechen. Leo Zimmermann. Es ist trotz allem ein spannendes Projekt, immer einen Artikel wert.«
     
    Albin ärgerte sich. Er hätte Gregoritsch statt den Gewerkschafter abwimmeln sollen. »Bei uns geht es immer um bekannte Firmen, viel Geld oder prominente Menschen.«
    »Ich habe schon einen Termin für Sie vereinbart«, beharrte Gregoritsch. »Hoffentlich fühlen Sie sich nicht bevormundet. Montag um 18 Uhr im Bräunerhof. Sie können mit Zimmermann auch über Markovics reden. Die beiden kannten sich.«
    »In Ordnung.«
    Albin hoffte, dass der Mord bis dahin geklärt und Gregoritsch und sein Partner nur noch Namen und Nummern im Telefonbuch sein würden.
    Die fünf Minuten vergingen, ohne dass sich der Betriebsrat ein weiteres Mal meldete. Albin wartete dreißig weitere Minuten. Doch anscheinend war der Mann verärgert, weil er nicht mit oberster Priorität behandelt worden war. Gegen vier Uhr leitete Albin sein Redaktionstelefon auf sein Handy um und stahl sich für einen Besuch bei Olga Dacia aus der Redaktion.
    Die U-l-Station war voller Wasserspuren von den Schuhen, Schirmen und Regenmänteln der Passanten.
    Beim Reumannplatz regnete es so stark, dass Albin für das kurze Stück zur Rotenhofgasse die Straßenbahn nehmen musste. Im trüben Licht des späten Nachmittags fuhr er durch Favoriten, den einwohnerstärksten Bezirk Wiens, der zu den uncharmanteren gehörte. Der liebenswürdige monarchistische Hauch der Innenstadt fehlte dort. Durch die angelaufenen Fenster der Tram sah er geschlossene Läden voll verstaubtem Gerümpel in den Auslagen. Hier florierten eher Tankstellen und billige Supermärkte.
    Olga Dacia wohnte in einem sechsstöckigen Gemeindebau. Nur hinter wenigen der quadratischen Holzfenster brannte Licht oder flimmerte blau ein Fernseher. Durch die offene Haustür betrat Albin ein Stiegenhaus, in dem Fahrräder und ein schmutziger Kinderwagen standen. Er läutete beim Hauswart am Ende des Flurs. »Ja bitte?«, fragte eine Frau, ohne zu öffnen. Ihre Stimme klang stumpf durch die Holztür.
    »Ich suche Frau Dacia.«
    »Mein Mann ist nicht da.«
    »Ich suche nicht ihren Mann, sondern Frau Dacia.«
    »Mein Mann ist der Hausmeister. Ich bin nur seine Frau.«
    Auf eine neuerliche Frage bekam Albin gar keine Antwort mehr. Er folgte dem engen, mit billigem Kunststein ausgelegten Gang zu einem schmucklosen Stiegengeländer. Im Halbstock stieß er auf einen Aufzug und fuhr bis ganz nach oben, um das Haus von dort aus nach Olga Dacia zu durchsuchen.
    Beim Aussteigen konnte er keinen Lichtschalter entdecken. Durch das Dachfenster floss bloß Düsternis herein. Nur von der Aufzugkabine sickerte etwas Licht auf den Flur.
    Hinter der einzigen Wohnungstür hörte er eine Frau schimpfen. Albin klopfte an. Fast im gleichen Moment kam ein kleines Mädchen in löchrigen Strümpfen heraus und starrte ihn neugierig an. »Die Katze läuft doch weg«, beschwerte sich hinter ihr ein anderes Mädchen. Eine Zimmertür knallte.
    Die Mutter der beiden erschien in einer geblümten Kleiderschürze. Sie wischte sich die Hände an den Hüften ab und befingerte ihren strähnigen Haarknoten. »Was wollen Sie?«
    »Ich suche Olga Dacia.«
    Albin betrachtete die vollen Lippen der Frau und fand, dass sie nicht zu ihren hohlen Wangen passten.
    »Sind Sie Geldeintreiber?«
    »Sehe ich so aus?«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Es geht um eine private Angelegenheit«, sagte Albin. Er fragte sich, ob er log oder ob die Angelegenheit für ihn endgültig zur privaten geworden war.
    »Man sieht Olga in

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