Rot Weiß Tot
blechernen Kesseln und das Murmeln fremder Menschen im Schlaf waren ihm noch immer vertraut wie anderen die Stimme ihrer Eltern.
»Wohnt hier jemand?«
Albin schreckte aus seinen Gedanken hoch. »Wie bitte?«
Sie hatten die hintere Kraftkammer erreicht und der Muskelprotz zeigte auf Albins aufblasbare Matratze mit dem zerwühlten Schlafsack. »Hier wohnt jemand«, beantwortete er seine Frage selbst. Danach schien er Albin nicht mehr ernst zu nehmen.
Dem war das egal. Er dachte noch an die Tulpe. Dorthin würde er nicht zurückkehren. Er bekam jetzt Monat für Monat ein durchschnittliches österreichisches Einkommen überwiesen, besaß zwei Sakkos und mehrere weiße Hemden, und sein Name stand unter Artikeln im Wirtschaftsteil eines angesehenen Nachrichtenmagazins. Vor ihm lag ein Nomadentum auf höherem Niveau, eine Heimatlosigkeit mit den Insignien des Etablierten.
»Ich werde mir die Sache durch den Kopf gehen lassen«, sagte sein Besucher.
»Es eilt nicht.«
»Kann ich Sie anrufen?«
»Die Nummer stand in dem Inserat. Wollen Sie ein eigenes Studio aufmachen?«
»Vielleicht.«
»Ich würde gerne mit Ihnen Essen gehen.«
Die weißblonde Empfangsdame der Agentur ID-Kommunikation reagierte verblüfft auf das Angebot des etwas unsicher an ihrem Pult lehnenden Albin. »Kennen wir uns?«, fragte sie und schien vor ihrem inneren Auge die Namen und Gesichter von ein paar Dutzend Abenden in Innenstadtlokalen Revue passieren zu lassen.
»Noch nicht«, sagte Albin.
»Also, ich weiß nicht.«
Das Telefon läutete. Die Blondine nahm ab. Albin gewann Zeit zur Orientierung. Er war der Endzwanzigerin mit dem Schwärm silberner Mini-Schmetterlinge im rechten Ohr tatsächlich noch nie begegnet. Nach der Führung für den Muskelmann war er zu der Agentur hinter dem Parlament aufgebrochen. Die Luftfeuchtigkeit, der Nieselregen, die Nebelfetzen und die Wolken unter dem Himmel hatten eine nasse Einheit gebildet, die von allen Seiten durch seine Kleidung gekrochen war.
Er hatte keinen Plan für seinen Auftritt in der Agentur gehabt. Klar war nur gewesen, dass er nicht einfach am Empfang nach Markovics’ Mörder fragen konnte wie andere Leute nach Terminen beim Chef. Herausgekommen war diese halbherzige Anmache, und er wusste gar nicht, wohin das noch führen sollte. Jetzt, während die Empfangsdame telefonierte, bemerkte Albin auch noch, dass sich die Brüste der Frau verlockend unter ihrer Bluse wölbten. Das machte die Sache nicht leichter.
»Wir werden das schon schaffen«, sagte die Blondine in den Hörer, warf Albin einen unauffälligen Seitenblick zu und zählte mit Daumen und Zeigefinger ihre Ohrenschmetterlinge ab.
Albin sah sich um. Er fand die Rezeption für so eine prominente Agentur bescheiden. Mit dem leicht abgeschabten Pult aus Eiche natur hätte sie auch in jede mittlere Anwalts- oder Steuerberatungskanzlei gepasst. Ein abgetretener Kokosläufer führte zu den Bürotüren. Lediglich die gerahmten Plakate an der Wand, Werbung für Parfüms, Schmuck, eine Versicherung und eine Waffelmarke, erinnerten an die Tätigkeit des Unternehmens. Draußen war am Türschild zu erkennen gewesen, dass die Agentur nach den Initialen ihres Gründers Ignaz Domfahrt benannt war.
»Ich möchte mit Ihnen über Ronald Markovics sprechen«, sagte Albin, als die Blondine aufgelegt hatte. Er trat einen Schritt vom Pult zurück. »Ich arbeite für den Report.«
»Ronald Markovics?«
Für einen Augenblick legte sie die Stirn in Falten. Gleich darauf war sie schon wieder zurück in ihrer Routine, und Markovics schien nur noch ein Auftrag gewesen zu sein, den die Agentur abzuwickeln gehabt hatte.
Einer, der zwar nicht erfolgreich verlaufen war, nun aber schon lange zurücklag. »Er wurde endlich gefunden«, sagte sie. »Ich habe davon gehört.«
»Er wurde umgebracht.«
»Furchtbar. Wieso denn?«
»Darüber wollte ich mit Ihnen sprechen.«
»Da warten Sie besser, bis der Chef aus den USA zurückkommt«, sagte sie. »Nehmen Sie das bitte nicht als Korb.«
Albin ignorierte ihr Zwinkern. »Wann kommt er zurück?«
»In zwei Wochen.«
»Jemand war vor zwei Jahren hinter Markovics her«, sagte Albin und wunderte sich selbst über seinen dramatischen Tonfall.
Ein Anflug von Heiterkeit huschte über das Gesicht der Frau, als hätte Markovics keinen grausamen Tod am Strang gefunden, sondern bloß den Job gewechselt. »Hinter dem waren viele her«, sagte sie mit erneutem Zwinkern.
Albin wusste aus der Redaktion, dass die
Weitere Kostenlose Bücher