Rot Weiß Tot
den Wagen nach einem Stift. Grundfesten seiner Welt gerieten durch diese offenkundig sinnlose Perversion ins Wanken: sein Vertrauen auf die Kraft des guten Willens, darauf, dass Unglück dem Lernen diente, und seine Überzeugung, dass das logische Ziel jeder Entwicklung Gerechtigkeit war.
»Verdammte Scheiße«, schrieb er, als er endlich einen Bleistift fand. Etwas anderes fiel ihm im Moment nicht ein.
»Nur an der Wahrheit kann der Mensch gesunden«, sagte Bergmann. Er war neben den Wagen getreten und blickte auf Albin herab. »Sie sehen aus wie ein Häufchen Elend. Wenn Sie statt hübsche Sätze aneinander zu reihen ein richtiger Journalist sein wollen, müssen Sie das Leben trotz Wahrheiten wie dieser genießen können.«
Bei aller Sympathie für Damian Bergmann wollte Albin nicht sein Seelenleben mit ihm erörtern. Und Väterlichkeit von Menschen, denen er sie nicht zugestand, hatte auf ihn schon immer überheblich gewirkt. »Haben Sie schon Hinweise?«, fragte er unwirsch.
»Als Polizist kann ich nur auf die anlaufenden Untersuchungen verweisen.«
»Und sonst?«
»Weitere Morde werden geschehen.«
Albin stieg wieder aus dem Wagen. Sie waren zurück auf der Ebene, die er dem Chefinspektor durchaus zugestand. »Wie kommen Sie darauf?«
»Bei Morden ist es wie bei allen anderen Dingen. Es gibt wiederkehrende Muster.«
Rund um das Heidentor war es stiller geworden. Die Anwesenden sahen dem Mann mit der Schaufel zu, der den Kies abgehoben hatte und jetzt die Erde auf einen Haufen warf.
»In welches Muster soll so eine grauenhafte Tat passen?«, fragte Albin.
»Was Sie grauenhaft nennen, sind bloß die methodischen Details. Das Muster ist die Leiche am Ende der Spur. Es gibt Fälle, in denen es immer so weitergeht. Bis ein Ermittler das Muster mit einer genialen Eingebung durchbricht oder der Mörder einen Fehler macht.«
»Mit Olga Dacia gab es erst eine Spur und eine Leiche an ihrem Ende.«
»Warten wir ab.«
»Es ist ein Unterschied, ob jemand seinem Opfer in einer dunklen Kammer eine Pistole mit Schalldämpfer in den Nacken drückt oder derartige Spektakel inszeniert. Der Mörder will vielleicht etwas zum Ausdruck bringen. Dann sind da noch immer diese beiden fehlenden Jahre. Der Fall ist nicht mit anderen vergleichbar.“ »Ich wette eine Sachertorte im Domcafé, dass es ein klares Motiv gibt. Motive haben so gut wie immer beziehungsmäßige, politische oder geschäftliche Hintergründe.«
Hufgetrappel wurde laut. Das Pferd zog samt Wagen in die Ebene davon. Ehe das Gespann völlig in der Dunkelheit verschwand, sah es ein paar Momente lang aus, als schwebe er. »Was ist das?«, fragte Albin.
»Das ist auch eines der Muster in dieser Causa«, sagte Bergmann, nur halb im Ernst. »Die Toten werden immer von eigentümlichen Menschen entdeckt.«
»Danke«, sagte Albin. »Ich habe allerdings nur ein Pferd gesehen, keinen Menschen.«
»Er liegt hinten auf dem Wagen. Er reist auf diese Art. Das Pferd findet den Weg ganz allein. Er ist ein Bauer aus der Umgebung, der abends zum Saufen in die Orte der Gegend fährt.«
»Mit einem Pferdefuhrwerk?«
»Den Führerschein haben sie ihm wegen Trunkenheit am Steuer abgenommen. Das Lenken von Pferdefuhrwerken in alkoholisiertem Zustand ist zwar auch verboten, doch da drückt die hiesige Exekutive ein Auge zu. Erstens ist der Mann Stammgast im Wirtshaus eines Bürgermeisters. Zweitens hat die Stute einen großen Vorteil: Die Wirte werfen den besoffenen Bauern einfach auf den Wagen, geben dem Tier einen Klaps, und schon bringt sie ihn brav nach Hause.«
»Ein Besoffener, der in einem Karren seinen Rausch ausschläft, findet also eine Leiche …«
»Er hatte sich gerade in dem fahrenden Wagen aufgerichtet, um über die Bordwand zu pinkeln. Beim Anblick der weißen Arme ist er herausgefallen und hat sich dabei in die Hose gemacht. Nach zwei Stunden rief er die Gendarmerie an. Als die Männer eintrafen, mussten sie den Bauern wecken. Er konnte sich nicht mehr an seinen Leichenfund erinnern, aber die Beamten entdeckten die Tote auch so.«
Der Rettungswagen war längst abgefahren, dafür war das Fahrzeug des Leichenabholdienstes eingetroffen. Die Tote wurde aus der Grube gehoben und neben einen Leichensack gelegt.
Albin blickte zum Himmel hinauf. An manchen Stellen schimmerten blasse Sterne. Es würde kalt werden. Vielleicht brach die Sonne da und dort wieder durch. An Samstagen wie dem bevorstehenden strömten die Wiener in Scharen in den Wienerwald oder zur Rax
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