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Rot Weiß Tot

Titel: Rot Weiß Tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Salomon
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und auf den Schneeberg. Nur Olga Dacia würde keinen Ausflug mehr machen.
    Albin trat im Schlepptau des Chefinspektors zu den stumm arbeitenden Männern. Er sah schwarze Haarsträhnen, in denen Erdklumpen hingen. Überall an der klein gewachsenen Frau mit den zierlichen Gliedmaßen und den rundlichen Hüften war Erde: an der dunkelgrünen Bluse und an den weiten Hosen. Ihre Schuhe sahen aus, als wäre sie damit über einen lehmigen Acker gewandert. »Ist sie es?«, fragte Albin.
    Bergmann machte eine wegwerfende Handbewegung, weil das für ihn von Anfang an klar gewesen war. »Sie ist es.«
    Obwohl er einmal ihr Opfer geworden war, erleichterte es Albin jetzt, dass es eine staatliche Maschinerie der Gerechtigkeit gab. Der Täter würde von der Polizei ermittelt, von der Staatsanwaltschaft angeklagt und von einem Gericht verurteilt werden. Er als Journalist würde berichten. Die Dinge hatten so trotz allem eine gewisse Ordnung. Das machte die Gräueltat erträglicher. Vielleicht, dachte er, war es das Entsetzen, das Menschen zu ordnungssüchtigen Spießern machte.
    Albin setzte sich in den 2 CV. Er hatte genug gesehen. Er wollte zurück in die Stadt. Bei Bergmann verabschiedete er sich nicht. Der Polizist würde ihm verzeihen. Sie würden sich früh genug wiedersehen.
    Er drehte am Zündschlüssel, einmal, zweimal und noch einmal. Der Wagen sprang nicht an. Ein Gendarm trat an sein Fenster und legte zwei Finger an den Rand seiner Kappe. Der Beamte wirkte müde, wie vom Grauen erschöpft. »Können Sie sich ausweisen?«
    Albin reichte ihm seinen Presseausweis.
    »Haben Sie keinen Lichtbildausweis?«
    Bei all seiner neuen Freude über das Rechtssystem konnte Albin Uniformierte noch immer nicht leiden. Ihr Gruß mit dem Finger an der Kappe reizte ihn jedes Mal, mit dem ausgestreckten Mittelfinger zu antworten.
    »Ein Presseausweis ist ein Lichtbildausweis«, sagte er genervt. »Sie können auch meinen Führerschein sehen, mein Erste-Hilfe-Paket überprüfen und das Reifenprofil messen, falls Sie nichts Besseres zu tun haben.«
    Der Mann lief mit Albins Ausweis davon. Wie ein aufgescheuchtes Huhn hastete er zu der Gruppe beim Heidentor. Bergmann fing ihn ab, hörte ihm zu und blickte dabei zu Albin. Er tat, als kenne er ihn nicht. »Keine Journalisten«, rief er.
    Albin unternahm einen weiteren Startversuch. Diesmal klappte es. Der Beamte gab ihm mit unübersehbarer Befriedigung den Ausweis zurück. Wenigstens einer, der diesen Ort mit einem Erfolgserlebnis verlassen konnte, dachte Albin. Er bedauerte es, dass dem Gendarmen nicht sein herunterklappendes Seitenfenster auf die Finger fiel.
    Der Chronikchef würde sich bei ihm entschuldigen müssen, überlegte Albin auf der Rückfahrt freudlos. Angesichts eines Serienmordes mit grausig drapierten Leichen vor antiker Kulisse würden Mays Augen leuchten. Kein anderes Blatt würde so gute Hintergrundinformationen haben. Außerdem hatte er exklusives Bildmaterial.
    Albin tastete nach der Kamera auf dem Beifahrersitz. Sollten die Aufnahmen unscharf oder schlecht belichtet sein, würden sie nur umso authentischer wirken. Wie beruhigend das war: Unter dem Strich war der grausamere Mord noch immer die bessere Geschichte. Das war auch eine Art von Ordnung. Eine, der er sich fügen konnte.
    »Ich bin froh, dass es dich gibt.«
    Albin musste das einfach sagen, als Sarah kurz vor sechs Uhr morgens anrief. Er steuerte sein weißes Vehikel zu diesem Zeitpunkt durch den über Wien liegenden Kältesee in Richtung Innenstadt.
    »Wo bist du eigentlich?«, fragte Sarah.
    Der Kältesee war von einem Hauch von Sonne durchtränkt. Albins erster Eindruck von dem kommenden Tag erwies sich als richtig: Ausflugswetter. »Ich bin im Wagen. Ich komme vom Heidentor.«
    »Ich konnte nicht mehr schlafen, dann habe ich es im Teletext gelesen.«
    »Was schreiben sie dort?«
    »Nur dass eine weitere Leiche beim Heidentor gefunden wurde. Es werde geprüft, ob es sich um einen Mord handelt.«
    Albin fielen Bergmanns Worte ein: Was ein Mord sei, das entscheide nicht er, es stehe im Wiener Leichen- und Bestattungsgesetz sowie in der Strafprozessordnung. In diesem Fall gab es wohl keine Zweifel.
    »Woher wusstest du Bescheid?«, fragte Sarah.
    »Bergmann hat mir eine SMS geschickt.«
    »Bergmann kommuniziert per SMS? Das glaube ich nicht.«
    »In ihm stecken wohl noch viele Überraschungen. Zusätzlich hat er angerufen.«
    »Deine Anwesenheit scheint ihm ja sehr wichtig gewesen zu sein. Was war da draußen

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