Rot Weiß Tot
an. Vielleicht ist sie die nächste Tote. Warum eigentlich sollte nicht sie die Nächste sein?«
»Weil bisher alle Opfer miteinander zu tun hatten.«
»So gesehen haben Sie Recht.«
Gregoritsch schien seinen Ausbruch nun doch als übertrieben zu bereuen. Er ging den Rest des Weges wortkarg neben Albin her.
Sie überquerten den Donaukanal, an dessen Kai zwei Angler standen. Die Männer trugen Regenmäntel und Gummistiefel, obwohl im Moment die Sonne schien. Auf der Schwedenbrücke stand ein japanisches Ehepaar und fotografierte sie.
Der Verlag belegte zwei Stockwerke in einem Jugendstilhaus in der Taborstraße. Sie durchquerten ein nach Desinfektionsmittel riechendes Stiegenhaus, ehe Gregoritsch eine mit hellen Intarsien verzierte Holztür öffnete. »Buchlektorat und Zeitschriftenredaktion«, stand an der Tür.
»Sollten Sie einmal gefeuert werden, können Sie bei uns anfangen«, sagte Gregoritsch. »Wir bringen auch so aufregende Journale wie Innungszeitungen und Monatsmagazine diverser Verbände heraus.«
»Danke, dass Sie trotz des Todes Ihres Freundes noch an meine Karriere denken.«
»Ich plappere nur«, sagte Gregoritsch. »Das tut meiner Seele gut.« Gregoritsch sah ihm kurz in die Augen, was er selten tat.
Albin fragte sich zum ersten Mal, ob der Eindruck von Krankheit und der Tag, den sich Gregoritsch freigenommen hatte, nicht einfach mit dessen Trauer zu tun hatten. Vielleicht war der Lektor von dem Tod seines Freundes tatsächlich tiefer getroffen, als er zeigen wollte.
Drinnen machte sich Gregoritsch auf die Suche nach dem Manuskript. Albin wartete in einem mit Büchern überladenen Büro. Durch ein altes Holzfenster fiel sein Blick auf einen mächtigen Ahorn, der im Hof mit seinen Wurzeln den Asphalt aufriss. Ich komme des Rätsels Lösung näher, dachte er dabei. Niemand konnte in so kurzer Zeit drei Morde begehen, ohne Fehler zu machen.
Nach zwanzig Minuten kam Gregoritsch mit einem Packen Papier zurück, gut dreihundert stabil geheftete Seiten Text in säuberlichem Blocksatz. »Glück gehabt«, sagte er stolz.
Das Manuskript lag laut einem handschriftlichen Vermerk in blauer Tinte schon mehrere Jahre im Verlag. Es enthielt ein Beiblatt mit einer kurzen Inhaltsangabe. »Wer ist der Autor?«, fragte Albin.
Gregoritsch drehte das Beiblatt um und schüttelte den Kopf. »Er wollte anonym bleiben. Die Ablehnung ging postlagernd an Klara Kalth, 1011 Wien.«
»Klara Kalth? Was für ein grässlicher Name.«
»Ein Pseudonym. Ich kenne solche Fälle. Die Autoren wollen damit den Eindruck erwecken, dass sich dahinter prominente Persönlichkeiten verbergen. Oder sie sind wirklich prominent und wollen eine Blamage vermeiden. Die meisten Schreiber wissen im Grunde, wie gut oder schlecht ihr Manuskript ist. Das Buch muss in der Zeit gekommen sein, als Zimmermann an mich übergab.«
»Haben Sie es damals gelesen?«
»Zimmermann hat es gelesen. An meinem Tisch ist es nur vorbeigewandert.«
»Was könnte in einem schlechten Kriminalroman, der schon mehrere Jahre alt ist, auf einen aktuellen Mordfall hinweisen?«
»Keine Ahnung. Für den Anfang müssten wir die Identität des Autors lüften.«
»Was würde das beweisen? Begeht ein Mensch perverse Morde, nur weil er ein schlechtes Buch über perverse Morde schreibt?«
»Meines Wissens geht es in dem Buch um Kirchen und katholische Rituale«, sagte Gregoritsch. »Bei Marko geht es um antike Denkmäler und vielleicht um römische Rituale.«
»Rituale sind die Erklärung, wenn man keine vernünftigere findet«, sagte Albin. Er fragte sich dabei, ob er schon Bergmanns Art zu denken übernahm.
»So schlecht kann das Buch übrigens nicht gewesen sein«, sagte Gregoritsch. »Es wurde beinahe in unser damaliges Herbstprogramm aufgenommen. Wollen Sie es mitnehmen?«
»Haben Sie etwas dagegen?«
Gregoritsch schüttelte den Kopf. »Das alles wäre wirklich spannend, wenn …«
»Wenn was?«
»Wenn es nicht ausgerechnet um Marko ginge. Vielleicht ist es nur Einbildung. Jetzt kommt es mir vor, als hätte ich in ihm einen Freund gehabt und es gar nicht bemerkt.« Nach einer kleinen Pause fügte er hinzu: »Meinen einzigen Freund.«
Der Lektor tat Albin Leid. Trotzdem hoffte er, dass der Mann nicht nun ihn als Freund zu betrachten begann.
An der Rossauer Lände, nach der das Polizei-Hauptquartier benannt ist, kämmte der Fahrtwind der Autos schmutziges Strauchwerk. Die hölzerne, klinkenlose Tür an der Ecke zur Berggasse ging nach innen auf. Im
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