Rote Lilien
Nicht weinen. Mein Schatz. Mein Liebling. Sie schaukelte ihn auf ihren Armen hin und her und ging zum Stuhl. Mama hält dich fest. Sie wird jetzt nie wieder loslassen. Komm mit Mama, mein kleiner James.
Komm mit Mama an einen Ort, an dem du nie wieder Schmerz oder Kummer empfinden wirst. Wo wir im Ballsaal Walzer tanzen werden, wo wir im Garten Tee trinken und Kuchen essen werden. Sie kletterte unbeholfen auf den Stuhl, behindert durch das Gewicht des Kindes und seine heftig strampelnden Arme und Beine. Selbst als es aus Leibeskräften schrie, lächelte sie es noch an. Dann legte sie sich die Schlinge um den Hals. Leise singend legte sie die kleinere Schlinge um den Hals ihres Kindes. Jetzt sind wir zusammen. Die Verbindungstür öffnete sich. Als Licht ins Zimmer fiel, drehte sie den Kopf und fletschte die Zähne wie eine Tigerin, die ihr Junges beschützt. Das schlaftrunkene Kindermädchen schrie auf und schlug die Hände vors Gesicht, als es eine Frau in einem schmutzigen weißen Gewand und das Kind in ihren Armen sah, das vor Angst und Hunger brüllte, mit einem Seil um den Hals. Er gehört mir!
Als sie den Stuhl wegstieß, machte das Kindermädchen einen Satz nach vorn. Schreie. Dann Kälte, und schließlich Dunkelheit. Hayley saß auf dem Boden des Raums, der früher einmal das Kinderzimmer gewesen war, und weinte in Harpers Armen.
Hayley fror immer noch, trotz der Decke über ihren Beinen und dem flackernden Feuer, das Mitch im Kamin entfacht hatte.
»Sie wollte ihn töten«, sagte sie ihnen. »Sie wollte das Kind töten. Mein Gott, sie wollte ihr eigenes Kind erhängen.«
»Um ihn zu behalten.« Roz stand auf und starrte ins Feuer. »Das ist mehr als nur Wahnsinn.«
»Wenn das Kindermädchen nicht hereingekommen wäre, wäre es ihr gelungen. Wenn das Kindermädchen ihn nicht schreien gehört hätte und nicht sofort aufgestanden wäre, hätte sie es getan.«
»Was für eine selbstsüchtige Frau.«
»Ich weiß, ich weiß.« Hayley rieb sich die Arme. »Aber sie hat es nicht getan, um ihm zu schaden. Sie hat geglaubt, sie würden für immer zusammen sein. Sie war gebrochen, in jeder nur möglichen Hinsicht. Und als sie ihn dann wieder verloren hat ...« Hayley schüttelte den Kopf. »Sie wartet immer noch auf ihn.
Ich glaube, sie sieht ihn in jedem Kind, das hier ins Haus kommt.«
»Eine Art Hölle, oder nicht?«, fragte Stella. »Für Wahnsinnige.« Sie würde es nie in ihrem Leben vergessen, dachte Hayley. Nie. »Das Kindermädchen - es hat das Kind gerettet.«
»Ich habe sie nicht finden können«, meldete sich Mitch.
»Sie hatten für den Jungen mehrere Kindermädchen, aber es wäre möglich, dass es ein Mädchen namens Alice Jameson gewesen ist - was auch zu dem Namen in Mary Havers Brief an Lucille passen würde. Alice hat Harper House im Februar 1893 verlassen, und danach habe ich nichts mehr über sie finden können.«
»Sie haben sie weggeschickt.« Stella schloss die Augen. »Ich bin mir sicher, dass sie sie weggeschickt haben. Vielleicht haben sie ihr Geld gegeben, aber es wäre genauso gut möglich, dass sie ihr gedroht haben.«
»Vermutlich beides«, warf Logan ein. »Ich werde sehen, ob ich noch etwas über sie finden kann«, versprach Mitch. Roz drehte sich um und lächelte ihn an. »Danke, Mitchell. Ohne sie wäre ich jetzt nicht hier. Und meine Söhne auch nicht.«
»Aber das war es nicht, was sie uns sagen wollte«, sagte Hayley leise. »Oder nicht alles. Sie weiß nicht, wo sie ist. Wo sie begraben ist. Was sie mit ihr gemacht haben. Sie kann nicht gehen, in Frieden ruhen, hinübergehen, wie auch immer man das nennt, bevor wir sie gefunden haben.«
»Aber wie?« Stella hob hilflos die Hände.
»Ich habe eine Idee.« Roz sah die anderen an. »Die unsere Gruppe vermutlich in zwei Lager spalten wird.«
»Wozu?«, protestierte Harper. »Damit Hayley noch einmal sieht, wie sie versucht, ihr Kind zu erhängen?«
»Damit sie, oder eine von uns, sieht, was danach passiert. Hoffentlich. Und mit uns meine ich mich selbst, Hayley und Stella.« Zum ersten Mal, seit sie nach oben gegangen waren, ließ Harper Hayleys Hand los. Er sprang auf. »Das ist eine verdammt schlechte Idee.«
»Harper, sprich nicht in diesem Ton mit mir.«
»Was soll ich denn sonst tun, wenn meine Mutter verrückt wird? Hast du eigentlich gesehen, was da oben gerade passiert ist? Wie Hayley vom Ballsaal in das alte Kinderzimmer gegangen ist? Wie sie geredet hat, als würde sie zusehen, wie es
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