Rote Lilien
Mondlicht schimmerte. Lavendel ist blau, sang sie. Lavendel ist grün.
1. Kapitel
Harper House
Juli 2005
Hayley war müde bis auf die Knochen und gähnte, bis ihr Kiefer knackte. Lilys Kopf lag schwer an ihrer Schulter, doch jedes Mal, wenn sie aufhörte zu schaukeln, zuckte das Baby wimmernd zusammen und grub seine kleinen Finger in das knappe Baumwoll-T-Shirt, in dem Hayley schlief.
Versuchte zu schlafen, korrigierte Hayley sich, während sie ihre Tochter leise murmelnd beruhigte und den Schaukelstuhl wieder in Bewegung setzte. Es war fast vier Uhr morgens, und sie war jetzt schon zweimal aufgestanden, um die unruhige Lily wieder in den Schlaf zu schaukeln. Gegen zwei Uhr morgens hatte sie versucht, sich mit dem Baby zusammen ins Bett zu legen, um wenigstens etwas Schlaf zu bekommen. Doch Lily gab sich mit nichts zufrieden.
Sie wollte in den Schaukelstuhl. Und so schaukelte und döste Hayley vor sich hin. Gähnend fragte sie sich, ob sie jemals wieder acht Stunden am Stück schlafen würde. Sie konnte sich einfach nicht vorstellen, wie andere Mütter zurechtkamen. Vor allem allein erziehende. Wie wurden sie damit fertig? Wie schafften sie es, den Ansprüchen gerecht zu werden, die ein Kind emotional, geistig, körperlich und finanziell an sie stellte? Wie wäre sie zurechtgekommen, wenn sie mit Lily ganz allein gewesen wäre? Welches Leben würden sie jetzt führen, Wenn es niemanden geben würde, der all die Sorgen, Mühen und Freuden des Mutterseins mit ihr teilte? Allein schon der Gedanke daran machte ihr Angst. Sie war so hoffnungslos optimistisch und zuversichtlich gewesen - und dumm, dachte sie. Hayley rief sich in Erinnerung, wie sie, im fünften Monat schwanger, ihre Stelle gekündigt, die meisten ihrer Sachen verkauft, den Rest in ihre alte Klapperkiste gepackt und die Stadt verlassen hatte. Wenn sie gewusst hätte, was danach alles kommen würde, hätte sie es nie getan. Und so hatte es vielleicht auch sein Gutes, dass sie es nicht gewusst hatte. Denn sie war nicht allein. Sie schloss die Augen und legte ihre Wange auf Lilys weiches, dunkles Haar. Sie hatte Freunde - nein, eine Familie.
Menschen, die sich um sie und Lily kümmerten. Und sie und ihre Tochter hatten nicht nur einfach ein Dach über dem Kopf, sondern das wunderschöne Dach von Harper House. Hayley hatte Roz, eine entfernte Cousine noch dazu angeheiratet -, die ihr ein Zuhause, einen Job und eine Chance gegeben hatte.
Sie hatte Stella, ihre beste Freundin, mit der sie reden und lästern konnte.
Roz und Stella waren beide allein erziehend - und wurden damit fertig, sagte sich Hayley. Sogar sehr gut. Stella war Mutter von zwei kleinen Jungen, die sie allein großzog. Roz hatte drei Kinder, die schon erwachsen waren. Und sie saß hier und fragte sich, ob sie jemals mit einem Kind zurechtkommen würde, obwohl es immer jemanden im Haus gab, der bereit war, ihr zur Hand zu gehen. Da war David, der den Haushalt führte und alle Mahlzeiten kochte. Und noch dazu eine Seele von Mensch war. Was würde sie tun, wenn sie jeden Abend nach der Arbeit kochen müsste? Wenn Sie einkaufen, putzen, aufräumen müsste, alles zusätzlich zu ihrem Job und der Betreuung eines vierzehn Monate alten Kindes?
Sie war froh, dass sie sich darum nicht zu kümmern brauchte. Dann war da Logan, Stellas frisch angetrauter, blendend aussehender Mann, der ihr altes Auto reparierte, wenn es wieder einmal bockte.
Und Stellas Jungs, Gavin und Luke, die nicht nur bereitwillig mit Lily spielten, sondern Hayley auch einen Vorgeschmack darauf gaben, was ihr in den nächsten Jahren so alles bevorstand. Und Mitch, der kluge, nette Mitch, der Lily auf seine Schultern setzte und sie mit sich herumtrug, während sie vor Vergnügen jauchzte. Wenn er und Roz aus den Flitterwochen zurück waren, dachte sie, würde er auch offiziell hier wohnen. Es war so schön gewesen zu erleben, wie Stella und Roz sich verliebt hatten. Sie hatte mit den beiden gefühlt - all die Aufregungen, die Veränderungen, das Größerwerden ihrer neuen Familie.
Roz- Heirat bedeutete natürlich, dass sie sich jetzt endlich einen Ruck geben und eine eigene Wohnung suchen musste. Frisch Verheiratete brauchten ihre Privatsphäre. Sie wünschte, sie könnte eine Wohnung ganz in der Nähe finden.
Vielleicht sogar auf dem Gelände des Anwesens. Ideal wäre natürlich so etwas wie das Kutscherhaus. Harpers Haus. Sie seufzte leise, während sie mit der Hand über Lilys Rücken strich. Harper Ashby.
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