Rote Spur
unmöglich.
So viele Jahre im Dienst. So viele Kämpfe und zäher Eifer, so viel harte Arbeit, um es so weit zu bringen. Nur, um alles wieder zu verlieren?
Nein.
Janina Mentz ließ die Hände sinken und setzte die Brille auf.
Erneut zog sie die Ismail-Mohammed-Vernehmung heran. Was sie, was die PIA zum Überleben brauchte, war eine extreme Erschütterung. Eine große Bedrohung. Eine heikle Angelegenheit. Und hier war sie, vom Himmel gesandt. Jetzt lag es an ihr, sie geschickt zu nutzen.
Sie drehte sich zu ihrem Computer um und suchte die einschlägigen Artikel aus der Datenbank heraus.
Bericht: Islamischer Extremismus in Südafrika, eine Neubewertung
Datum: 14. Februar 2007
Zusammengestellt von: Velma du Plessis und Donald MacFarland
Qibla in neuem Gewand
Die Qibla wurde 1980 von dem radikalen Imam Achmed Cassiem gegründet, um nach dem Vorbild der iranischen Revolution die Gründung eines islamischen Staates in Südafrika voranzutreiben. In den 1980er Jahren schickte die Qibla Mitglieder zur militärischen Ausbildung nach Libyen und in den Neunzigern kämpften in Pakistan geschulte Terroristen an der Seite der Hisbollah im Südlibanon. Nach den Anschlägen des 9. September wurden auch Kämpfer für den Einsatz in Afghanistan rekrutiert.
Aufgrund des scharfen Vorgehens gegen die verwandte Organisation
People Against Gangsterism and Drugs
(PAGAD) zwischen 1998 und 2000 sowie der Verhaftung von über hundert Qibla-Anhängern wegen schwerer Verbrechen, darunter Mord, |21| verschwand die Qibla nahezu von der Bildfläche. An ihrer Stelle wurde eine wesentlich geheimere Organisation gegründet. Sie nennt sich »Der Höchste Rat«.
(3. August 2009. Montag.)
Milla Strachan zog den Schlüssel aus dem Schloss, stieß die Haustür auf, ging aber nicht sofort hinein. Zunächst blieb sie reglos stehen, einen ratlosen Blick in den dunklen Augen. Die Zimmer der Wohnung jenseits der offenen Tür waren leer. Keine Gardinen, keine Möbel, nur ein verschlissener Teppichboden in fast gänzlich verblasstem Beige.
Noch immer stand sie zögernd vor der Tür, als hielte ein großes Gewicht sie zurück, als warte sie auf irgendetwas.
Bis sie sich plötzlich energisch bückte, die beiden großen Reisetaschen rechts und links aufhob und durch die Tür trat.
Sie stellte ihr Gepäck im Schlafzimmer ab, sich deutlich der beklemmenden Leere bewusst. Bei der Wohnungsbesichtigung am Samstag hatten noch die Möbel der früheren Bewohnerin den Raum ausgefüllt, Umzugskartons stapelten sich, bereit für den übereilten Rücktransport nach Deutschland, nachdem die Frau kurzfristig in den Hauptsitz der Hilfsorganisation zurückbeordert worden war. »Ich bin so dankbar, dass jemand die Anzeige gelesen hat, es musste alles so schnell gehen. Sie werden es nicht bereuen, sehen Sie mal, diese Aussicht!« Die Frau hatte auf das Fenster gezeigt. Es lag zur Davenpoortstraat in Vredehoek hin und bot einen Blick auf einen schmalen Ausschnitt der Stadt und des Meeres, eingerahmt von den Häusern auf der anderen Straßenseite.
Milla sagte, sie wolle die Wohnung haben und werde den Mietvertrag übernehmen.
»Woher kommen Sie?«, hatte die Frau gefragt.
»Aus einer anderen Welt«, hatte Milla leise geantwortet.
Die drei, die sich um den runden Tisch in Mentz’ Büro versammelt hatten, hätten unterschiedlicher kaum sein können. Die |22| Direktorin besaß ein strenges Gesicht, trotz ihres vollen, breiten, jedoch stets ungeschminkten Mundes. Dazu trug sie eine nüchterne Brille mit Metallgestell, die Haare stets straff nach hinten gekämmt und konservative Kleidung, locker sitzend, grau-weiß, als wolle sie ihre Weiblichkeit verhüllen. Die alten Aknenarben auf ihren Wangen überdeckte sie mit Fond de Teint, die schlanken Finger schmückten weder Ringe noch Nagellack. Ihr Gesichtsausdruck war meist undurchdringlich.
Dann war da Rechtsanwalt Tau Masilo, der stellvertretende Direktor, zuständig für Einsatz und Strategie. Dreiundvierzig, straffer Bauch, helle Hosenträger, passende Krawatte, ein klein wenig geckenhaft. Ausgeprägte, gravitätische Gesichtszüge, eindringliche Augen, die Haare kurz und gepflegt. Masilos Mitarbeiter nannten ihn »Nobody« – eine Anspielung auf »nobody is perfect«. Denn Tau Masilo, phlegmatisch und kompetent, war in ihren Augen perfekt. Er war ein SeSotho, sprach aber fließend fünf weitere südafrikanische Sprachen. Mentz hatte ihn sorgfältig ausgewählt.
Der dritte im Bunde war Rajkumar, ebenfalls
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