Roter Herbst - Kriminalroman
»Marlies hat davon erfahren … Aber wir haben doch nur unseren Spaß gehabt. Wir waren damals noch jung. Und der kleinen Russin hat’s ja irgendwann auch gefallen … Nur hat Marlies den Mist, den ihre langhaarigen Freunde von sich gegeben haben, geglaubt. Ständig das Gefasel von Friede, Freude, Eierkuchen. Plötzlich wollte sie nichts mehr mit mir zu tun haben, ist einfach abgehauen. Weg war sie. Einfach weg. Mit diesem linken Arschloch …«
»Warum ist sie damals nicht zur Polizei? Wollte sie den eigenen Vater nicht bloßstellen? Warum ist sie lieber weggelaufen?«
»Polizei! Was für ein Blödsinn. Das hat doch damals keine Sau interessiert, was wir mit der kleinen Schlampe gemacht haben. Meinst du denn, die Leute haben nichts davon gewusst? Deine Kollegen hätten die Marlies doch nur ausgelacht und wieder heimgeschickt.«
Bichlmaier betrachtete ihn unverwandt. Es waren Abgründe einer Gesellschaft, die sich vor seinen Augen öffneten. Der Blick, den ihm der alte Mann erlaubte, ließ ihn tief in den Morast des Lebens eindringen und ihn schauderte. Und zum ersten Mal wurde ihm dabei bewusst, dass ja auch er Teil dieser verfaulten Welt war, dass auch er sich kein bisschen davon unterschied. Es war eine Welt, in der die Menschen sich jedweder Verantwortung entzogen, sich betäubt durch den Augenblick davonstahlen. Eine Welt, in der die Dunkelmänner seit langer Zeit das Regiment übernommen hatten, Männer, die im Schatten lebten …
»Und Hartmut Urbach. Hast du ihn getötet? Hast du Recht sprechen wollen, ihn dafür bestrafen, dass er dir deine Tochter genommen hat?«
»Nein.« Berger winkte müde ab. »Hartmut hat seinen Tod hundertfach verdient, aber ich habe ihn nicht getötet. Das waren andere.«
Einen Moment lang fuchtelte er mit seiner Waffe umher, dann versank er in Schweigen und Bichlmaier sah, wie sein Blick in die Richtung ging, aus der er vor wenigen Minuten gekommen war. Er wollte sich schon umdrehen, als der alte Mann weitersprach.
»Ich habe ihn nicht getötet, aber ich war dabei, als sie ihn zu Tode gefoltert haben. Ich habe gehört, wie er geschrien und gefleht hat, und ich habe dabei an meine Marlies gedacht … Und als sie mit ihm fertig waren, habe ich ihm die Hände abgesägt …«
»So sehr hast du ihn gehasst?«
Magnus Berger tat, als habe er die Frage nicht gehört. Er war wieder in brütendes Schweigen versunken, und wie abwesend blickte er dabei über Bichlmaiers Schulter hinweg in die Ferne.
»Was hast du damit gemacht … mit seinen Händen?«
Berger zuckte nur mit den Schultern und Bichlmaier ahnte, dass sie sie wohl nie mehr finden würden. Das Moor bot zu viele Möglichkeiten, um sich ihrer zu entledigen.
»Wer waren die Männer, die Hartmut Urbach getötet haben?« Bichlmaier befürchtete, dass er auch auf diese Frage keine rechte Antwort bekommen würde, und doch wollte er nicht aufgeben.
Magnus Berger richtete seine Augen wieder auf ihn, und er schien aus endloser Ferne zurückzukehren. »Das weiß ich nicht. Das waren die Namenlosen, die seit vielen Jahren im Hintergrund die Fäden ziehen. Männer, die schon in meiner Jugend dagewesen sind. Die zwischen uns leben, die wir aber nicht wahrnehmen. Männer wie Urbach, die irgendwelchen Geheimdiensten angehören. Die tauchen auf und verschwinden wieder …«
»Wie die Freunde aus der rechten Szene? Hoffmann …?«
Berger winkte verächtlich ab. »Die nicht.«
»Wie war das bei Hartmut Urbach?«
»Ein Telefonanruf. Sie wussten, dass er unterwegs war, dass er seinen Sohn sehen wollte, den Martin. Es war also nur wahrscheinlich, dass er hierherkommen würde. Dann haben sie mir klargemacht, dass ich ihnen helfen musste.«
»Wie …?«
»Hartmut wusste von der Sache mit Swetlana. Wenn er geplaudert hätte, wäre alles aufgekommen …«
»Warum aber mussten sie ihn gleich töten?«
»Weil er etwas bei sich hatte, das nicht in seinem Besitz hätte sein dürfen, etwas, das nie an die Öffentlichkeit geraten darf.«
Bichlmaier blickte ihn verständnislos an. »Was um alles in der Welt ist das?«
»Das hier.« Berger nestelte mit der linken Hand in seiner Hosentasche und zog dann etwas heraus, das er hochhielt.
Bichlmaier erkannte zuerst nicht, was es war, das ihm der alte Mann präsentierte. Erst nach einer Weile sah er, dass es ein glänzender, gänzlich unscheinbarer Speicherstick war.
»Peter Urbachs Erinnerungen«, sagte Berger. In seiner Stimme schwang leiser Triumph mit. »Alles fein säuberlich
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