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Rotglut

Rotglut

Titel: Rotglut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liliane u Rist Biggi Skalecki
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verinnerlicht und sogar in seinem Notizbuch festgehalten:
    ›Wer ein bestimmtes Ding oder einen Komplex von Dingen direkt kennenlernen will, muss persönlich am praktischen Kampf zur Veränderung der Wirklichkeit, zur Veränderung des Dinges oder des Komplexes von Dingen teilnehmen, denn nur so kommt er mit der Erscheinung der betreffenden Dinge in Berührung, und erst durch die persönliche Teilnahme am praktischen Kampf zur Veränderung der Wirklichkeit ist er imstande, das Wesen jenes Dinges bzw. jenes Komplexes von Dingen zu enthüllen und sie zu verstehen.‹ 4
    Aber Raimund Stegmann will keinen einsamen Kampf führen, allein kann er nichts verändern. Georg Elser hatte es auch versucht. Was war dabei rausgekommen? Nichts! Hitler hatte überlebt, Elser 1945 einen Genickschuss erhalten.
    Als Raimund Stegmann vor zwei Jahren seinen Job angetreten hat, hätte er eigentlich über sich selbst kotzen können. Aber was war ihm übrig geblieben? Zweimal das Studium in Göttingen abgebrochen – Theologie und Germanistik – und dann die Verantwortung für Hannelore und das Baby.
    Als er die Annonce im ›Weser-Kurier‹ gelesen hat, dass der BRESIDI, der Bremer Sicherheitsdienst, noch Leute suchte, hat er sich beworben und ist sofort genommen worden. Sein Chef Ronni Bitner ist kaum älter als er, und sie sind sich auf Anhieb eigentlich ganz sympathisch gewesen. Ob er lieber im Bereich Personen- oder im Bereich Gebäudeschutz arbeiten würde, fragte Bitner damals.
    Das sei ihm egal, Hauptsache, die Kohle stimme, war Raimunds Antwort. Bitner hat nur gelacht und gemeint, das sei eine gesunde Einstellung.
    Und nun verdient er sein Geld damit, Banken zu bewachen und Kaufhäuser vor unliebsamen Besuchern zu schützen. Eigentlich sollten diese Konsumtempel brennen. 1968 ist er zweimal in Berlin gewesen. Ein furchtbares Jahr: Martin Luther King ermordet, Dutschke angeschossen, Ende des ›Prager Frühlings‹. Im Januar noch hat Raimund an der Abschlussdemo des Vietnam-Kongresses teilgenommen – wie hat er Rudi Dutschke da bewundert – und im April ist er ein zweites Mal dort gewesen. Irgendjemand hat ihm einen Zettel in die Hand gedrückt. Noch heute besitzt er das zerfledderte Flugblatt der Kommune 1, in dem aufgefordert wird, auch die Berliner Kaufhäuser brennen zu lassen.
    Doch bei aller Überzeugung, einen solchen Schritt würde Raimund nicht wagen. Unschuldige sollten in diesem Kampf nicht geopfert werden. Wenn, dann müsste vorher das gesamte Politikergesocks darin versammelt werden, und dann, krawumm …!
    Und nun ist er auf dem Weg nach Wolfsburg. Raimund hat den Zug genommen, Hannelore braucht das Auto, um mit der Kleinen zum Kinderarzt zu fahren. Den Kontakt nach Wolfsburg hat er über einen befreundeten Studenten erhalten, der in den Semesterferien regelmäßig bei VW jobbt und während dieser Zeit bei Ilse wohnt. Kommune K3 hat ihm eigentlich nichts gesagt. Doch die Ilse sei, so Raimunds Studentenfreund Enno, sozusagen die ›Mutter‹ dieser Kommune. Die ›Rote Ilse‹ 5 wird sie von der Presse genannt. Einige Anschläge scheinen auf ihr Konto zu gehen und Raimund hofft, zumindest geistig dort eine Heimat zu finden. Baader und Ensslin und Berlin – alles für ihn viel zu weit weg. Da ist Wolfsburg für ihn näher. Ein paar Brandstiftungen, Anschläge auf Denkmäler, die Entgleisung eines Güterzuges mit Neuwagen (allerdings gescheitert) und Bombendrohungen gegen Polizei und Hotels, alles unter der Regie der K3, das hat schon Aufmerksamkeit erregt.
    Er hat sich mit Enno Hardenberg in der ›Roten Ameise‹ im Bremer Viertel getroffen und sie regten sich furchtbar über die Ermordung des jungen Richard Epple auf, der vor zwei Monaten irrtümlich für einen RAF-Aktivisten gehalten und bei einer Verfolgungsjagd von einer Polizeikugel tödlich getroffen worden ist.
    »Durch die Staatsorgane, dieses faschistische Pack, eskaliert doch erst die Gewalt. Da muss man doch was tun«, Raimund war dabei so laut geworden, dass Enno ihn warnend anzischte, er solle bloß seine große Klappe halten, auch hier hätten die Wände Ohren. Und dann hat er ihm auf einem kleinen Schmierzettel die Adresse von Ilse in Wolfsburg gegeben samt einer Wegbeschreibung. Schließlich erzählte Enno noch, dass er nun in Berlin weiterstudieren werde. Dort sei alles besser, und man wäre näher an den Leuten, die was in der Szene zu sagen hätten.
    Als Raimund am Wolfsburger Bahnhof aussteigt, nieselt es. Am Taxistand erkundigt er sich,

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