Flammendes Begehren
Prolog
Moydenshire, England, 1174
V ater«, keuchte Geoffrey de Lanceau, löste den Blick von der dunklen Silhouette des Pferdes und der anderen Tiere und sank neben dem Mann in die Knie, der mit ausgestreckten Gliedern auf dem verdreckten Strohboden des Stalls lag.
Der metallische Geruch nach Blut stieg Geoffrey in die Nase. Im schwachen Schein der Fackel erkannte er die wächserne Blässe des Todes, die das Antlitz seines Vaters überzog.
Brennende Tränen trübten Geoffreys Sicht. Vor seinem geistigen Auge surrten brennende Pfeile vorbei. Donnernde Pferdehufe. Das markerschütternde Brüllen seines Vaters, als ihm das Schwert in die Brust gefahren war. Geoffrey biss sich in die Hand, um das gewaltige Schluchzen zu unterdrücken, das ihn innerlich zerriss.
Erbarmungslos peitschte der Wind um den Stall. Die einsame Fackel im Innern zischte und spie. Der zerknitterte Seidenumhang reflektierte das sanfte, zuckende Licht. Das kunstvoll bestickte Kleidungsstück – ein Indiz für die herrschaftliche Herkunft seiner Familie – war verdreckt und zerrissen.
Wie brodelndes Pech pulsierte das Gefühl der Hilflosigkeit durch Geoffreys Adern. Galle flutete seinen Mund, und er ballte die jungen Hände zu Fäusten.
Er würde alles tun, um seinen Vater zu retten. Der Anfang war gemacht: Er hatte bereits ein Versteck für ihn gefunden. Sobald sein Vater wieder bei Kräften war, würde er nichts unversucht lassen, um den Ruf seiner Familie reinzuwaschen. Schließlich war sein Vater niemand Geringeres als Edouard de Lanceau, ein ehrwürdiger Ritter, dessen Kühnheit bereits in
chansons de geste
besungen und der am königlichen Hofe sehr geschätzt wurde.
Bis der König ihn als Verräter gebrandmarkt hatte.
Bis der König diesem vermaledeiten Lord Arthur Brackendale die Order erteilt hatte, Wode Castle zu belagern und den Burgherrn aus dem Weg zu räumen.
Verwirrung und Furcht krochen ihm den Rücken hoch. Nein, sein Vater war kein Verräter – nie und nimmer!
»Geoffrey?«, ertönte eine rauhe und gebrochene Stimme.
»Bleibt ruhig liegen, Vater!« Geoffrey drückte die Hand auf das blutgetränkte Wams seines Vaters. Frisches Blut sickerte durch seine Finger. »Wir brauchen einen Heiler. Breipackungen. Die Wunden müssen genäht werden …«
»Keine … Zeit«, krächzte Edouard.
Geoffrey zitterte. »Besser, Ihr sprecht nicht. Ihr müsst jetzt mit Euren Kräften haushalten. Der Earl of Druentwode …«
»… wird dich … beschützen … wie sein eigen Fleisch und Blut. Ich … würde dasselbe tun … für seine Söhne.«
»Nein!«
Edouards Mund verzog sich zu einem schmerzhaften Lächeln. »Versprich mir … dich um deinen Bruder zu … kümmern.«
»Leben! Ihr müsst leben, Vater! Thomas und ich wollen nicht zu Waisen werden.« Die eisigen Finger bodenloser Verzweiflung griffen nach ihm, drückten ihm die Kehle zu. »Als Mutter von uns ging, habt Ihr geschworen, uns stets zu …«
»Versprich es mir!«
Mit einem erstickten Schrei riss Geoffrey die Hände nach hinten. Panik und Wut mischten sich in die Verzweiflung, bis ihm der Magen schmerzte. »Ihr dürft nicht als Verräter sterben. Lebt, Vater, lebt! Beweist allen, dass Lord Brackendales Belagerung der größte Fehler aller Zeiten war. Beweist der Welt, dass Ihr den König nicht hintergangen habt!«
Tiefer Kummer glomm in Edouards silbrigen Augen. »Ach, mein Sohn!«
Die sanften Worte drohten Geoffrey das Herz in tausend Stücke zu zerreißen. »Ich vermag Euch dieses Versprechen nicht zu geben.« Die siedenden Tränen, gegen die er die ganze Zeit tapfer angekämpft hatte, kullerten ihm über die jugendlichen Wangen. »Ich bin im Umgang mit dem Schwert nicht geübt, kann keine Truppen führen. Ich bin doch nur ein Jüngling.«
»Kein Jüngling.« Edouard tastete nach Geoffreys Hand und drückte sie so fest er eben konnte. »Du bist der Erbe der Lanceau-Ländereien. Ich frage dich noch einmal, ob …«
Sein Vater klang, als bliebe ihm nicht mehr viel Zeit. Mit einem Brennen in der Kehle nickte Geoffrey hastig, verflocht seine zarten Finger mit denen seines Vaters und drückte sie fest. »Ich verspreche es. Dies ist ein Schwur, der mit Blut besiegelt ist.«
Im darauffolgenden Moment entwich ein leises Stöhnen den blassen Lippen Edouards. Seine Brust senkte sich, ohne sich noch einmal zu heben. Plötzlich war Geoffrey allein mit den Tieren, der einsamen Fackel und dem Kreischen des Windes.
»Vater?« Er sah auf das bleiche Gesicht und die
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