Rotglut
Kommode, zog es sich über, stopfte es in seine Hose. Seine Hände zitterten. Ihn beschlich ein ungutes Gefühl. Dieser Tag würde noch einiges an Überraschungen für ihn bereithalten.
27. Juni, 15:40 Uhr, Bremen
Bei Markus Rotenboom saßen schon alle im Garten, jeder ein Bier in der Hand: Harry Schipper, Peter Dahnken und einige Mitarbeiter Rotenbooms von der Spurensicherung. Einzige Frau neben Markus’ Freundin Sandra war Dr. Sabine Adler-Petersen, die Gerichtsmedizinerin. Hölzle war baff. ›Dass die Fußball guckt, hätt i au net denkt.‹ Er stellte Christianes Vater kurz den Anwesenden vor, ließ Manfred dann einfach stehen und suchte nach Markus, der nach drinnen verschwunden war. In der Küche wurde er fündig.
»Mensch, du hättest doch auch ›nein‹ zu Christiane sagen können, als sie dich angerufen hat«, maulte er und nahm sich ein Bier aus dem Kühlschrank.
Markus grinste. »Was hätte ich denn sagen sollen? ›Nein, Hölzle ist mein Freund und kann deinen Vater nicht leiden, und deshalb mag ich ihn, obwohl ich ihn nicht kenne, auch nicht?‹ Du bist gut. Bleib mal locker, bring ihm ein Bier mit raus und genieße das Spiel. Ich bin überzeugt, das wird der Bringer heute gegen England. Das ist so eine klasse junge Mannschaft, die machen die Fish-und-Chips-Fiffis platt.«
Hölzle ließ sich von Markus’ guter Laune anstecken und nahm ein weiteres Bier, um seinem Vielleicht-Schwiegervater einen Gefallen zu tun. Als er hinaus in die Sonne kam, saß Manfred schon bei Adler-Petersen. Offenbar unterhielten sich die beiden blendend. ›War jo klar, dass du zu der hockscht, die hot jo au an Doktortiddel‹, seine Laune sank schon wieder, wobei er sich eingestehen musste, dass der alte Johannsmann noch verdammt gut aussah. So eine Mischung aus Alain Delon und Sean Connery. Kein Wunder, dass die Frauen sich von ihm einwickeln ließen.
Er reichte Manfred das Bier, das dieser nahm und nur mit einem Kopfnicken quittierte. Hölzle konnte darüber nur den Kopf schütteln und gesellte sich zu Harry und Peter. Im Hintergrund hörte er Adlerblicks silberhelles Lachen. Ruth Johannsmann konnte einem mit so einem Ehegatten nur leidtun.
27. Juni 2010, 16:30 Uhr, Bremen
Yves Renard verließ sein Hotel in der Theodor-Heuss-Allee. Ein herrlicher Tag und trotzdem waren kaum Menschen auf der Straße anzutreffen. Das Achtelfinale zwischen Deutschland und England hatte bereits vor einer halben Stunde begonnen. Yves hatte diesen Zeitpunkt für sein Treffen mit Bedacht gewählt. Er schlenderte an der Stadthalle, die neuerdings Bremen-Arena hieß, vorbei, überquerte die Hollerallee. Sein Blick blieb am schlossähnlichen Parkhotel hängen. Es schimmerte im Sonnenlicht, seine Kuppel spiegelte sich im Hollersee. Den Flügel zu seiner Rechten hatte es früher nicht gegeben. Vielleicht würde er für seine letzten Nächte hier in dieses Hotel ziehen, wenn alles glattging.
Wo zu anderen Zeiten an einem Sonntag Spaziergänger und Jogger den Bürgerpark bevölkerten, traf Yves heute nur vereinzelt auf Menschen, die weder schwarz-rot-goldene Fahnen umgehängt hatten noch ein Nationaltrikot trugen. Wie er selbst, waren sie ganz offensichtlich Fußballignoranten. Hinter dem Hotel orientierte sich Yves nach links. Er atmete tief durch. Vor ihm lag der Emmasee mit seinem kleinen Café. Hier hatte sich auch einiges getan. Das Café erschien ihm frisch renoviert. Dort würde er später noch ein kühles Bier trinken, nahm er sich vor. Über dem Wasser tanzten Libellen, die in allen Farben des Regenbogens schillerten.
Seltsam, trotz der drückenden Wärme kamen ihm heute alle Farben frisch und intensiv wie selten vor. Auf der Wiese vor dem See lag eng umschlungen ein Pärchen. Yves konnte nicht erkennen, ob alt oder jung, und setzte seinen Weg fort. Einen Moment musste er überlegen. Obwohl er glaubte, den Bürgerpark immer noch wie seine Westentasche zu kennen, hatte er sich vorsichtshalber einen kleinen Plan eingesteckt, den er sich an der Rezeption seines Hotels erbeten hatte. Er setzte kurz seine Brille auf und studierte ihn. Zur Amelie-Ziermann-Bank führte der Weg in östliche Richtung.
Yves’ Mutter war eine unverbesserliche Romantikerin gewesen. Wie oft war er als Kind mit ihr durch diesen Park spaziert. Diese Bank war ihre Lieblingsbank gewesen: Halbrund, wunderschön geschmiedet, erinnerte sie an die verstorbene Tochter eines Bremer Kaufmanns.
Schwer atmend ließ sich Yves auf die Bank sinken. Der Spaziergang kostete ihn
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