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Rousseau's Bekenntnisse

Rousseau's Bekenntnisse

Titel: Rousseau's Bekenntnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Jacques Rousseau
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Züchtigung wurde über uns verhängt. Sie war furchtbar. Hätte man das Heilmittel in dem zugefügten Leid selber gesucht und meine auf Abwege gerathene Sinnlichkeit für immer ertödten wollen, so hätte man es gar nicht besser anstellen können. Auch ließ mich letztere lange Zeit in Ruhe.
    Trotzdem war man nicht im Stande mir das Geständnis, welches man verlangte, zu entreißen. Wiederholentlich vorgenommen und furchtbar mißhandelt, blieb ich unerschütterlich. Ich hätte den Tod erlitten und war dazu entschlossen. Selbst die Gewalt ermüdete, vor dem teuflischen Starrsinn eines Kindes, denn so nannte man meine Beharrlichkeit. Endlich ging ich aus dieser grausamen Prüfung zerfetzt, aber siegreich hervor.
    Seit diesem Vorfalle sind jetzt fast fünfzig Jahre verstrichen, und ich brauche nicht zu fürchten, für dieselbe That von Neuem bestraft zu werden; nun wohl, im Angesichte des Himmels erkläre ich, daß ich unschuldig war, daß ich den Kamm weder zerbrochen noch auch nur berührt hatte, daß ich gar nicht in die Nähe der Kaminplatte gekommen war, und daß ich nicht einmal daran gedacht hatte. Man frage mich nicht, wie dieser Schaden geschehen ist, ich weiß es nicht und kann es nicht begreifen; nur so viel weiß ich mit größter Bestimmtheit, daß ich daran unschuldig war.
    Man denke sich einen im gewöhnlichen Leben schüchternen und lenksamen, aber in der Leidenschaft feurigen, stolzen, unbeugsamen Charakter; ein stets von der Stimme der Vernunft geleitetes, stets mit Milde, Billigkeit, Freundlichkeit behandeltes Kind, welches nicht einmal einen Begriff von der Ungerechtigkeit hat und nun zum ersten Male eine so furchtbare gerade von Seite der Leute erleidet, die es liebt und am meisten achtet: welcher Umsturz der Begriffe, welche Verwirrung der Gefühle, welche Umwälzung in seinem Herzen, in seinem Kopfe, in seinem ganzen sich eben erst entwickelnden Geistes- und Seelenleben! Ich sage, man denke sich das alles, wenn man es im Stande ist; denn ich für meine Person fühle mich wenigstens unfähig, die geringste Spur von dem, was damals in mir vorging, aufzufinden und zu verfolgen.
    Ich hatte noch nicht Vernunft genug, um einzusehen, wie sehr der Anschein mich verurtheilte, und um mich an die Stelle der anderen zu versetzen. Ich beharrte auf der meinigen, und alles, was ich fühlte, war die Härte einer furchtbaren Strafe für ein Vergehen, welches ich nicht begangen hatte. Der körperliche Schmerz war mir trotz seiner Heftigkeit wenig empfindlich; ich fühlte nur den Unwillen, die Wuth, die Verzweiflung. Mein Vetter, der in einem ziemlich ähnlichen Fall war, und den man für einen unabsichtlichen Fehler wie für eine vorsätzliche That bestraft hatte, versetzte sich nach meinem Beispiele in Wuth und quälte sich so zu sagen in dieselbe leidenschaftliche Aufwallung hinein wie ich. Das Bett mit einander theilend, umarmten wir uns beide unter krampfhaften Wuthausbrüchen; wir erstickten; und wenn unsere jungen Herzen, ein wenig erleichtert, ihrem Zorne Luft machen konnten, dann richteten wir uns im Bette auf und fingen beide an hundertmal mit aller Kraft zu schreien: carnifex, carnifex, carnifex!
    Noch jetzt fühle ich, indem ich dies niederschreibe, meinen Puls stärker schlagen. Jene Augenblicke würden mir stets gegenwärtig sein, lebte ich auch hunderttausend Jahre. Dieses erste Gefühl von Gewalttätigkeit und Ungerechtigkeit ist mir so tief in der Seele eingeprägt geblieben, daß alle Vorstellungen, welche sich daran knüpfen, wieder die erste Aufregung in mir hervorrufen; und dieses Gefühl, das ursprünglich mich nur persönlich berührt, hat in sich selbst solche Kraft gewonnen und sich so vollkommen von jedem persönlichen Interesse losgelöst, daß mein Herz bei dem Anblicke oder der Erzählung, jeder ungerechten Handlung, an wem und wo sie auch immer verübt werde, auflodert, als ob ich selbst unter ihr zu leiden hätte. Wenn ich die Grausamkeiten eines schonungslosen Tyrannen, die schlau angelegten Schlechtigkeiten eines schurkischen Priesters lese, würde ich mich gern aufmachen, um diese Elenden zu erdolchen, sollte ich auch hundertmal dabei zu Grunde gehen. Ich habe mich oft in Schweiß gesetzt, um im Laufe oder mit Steinwürfen einen Hasen, eine Kuh, einen Hund, ein Thier zu verfolgen, welches ich ein anderes lediglich deshalb quälen sah, weil es sich stärker fühlte. Diese leichte Erregbarkeit kann mir angeboren sein, und ich glaube, es ist so; allein die unauslöschliche Erinnerung

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