Rousseau's Bekenntnisse
dem Hofthore eine Terrasse, auf der man des Nachmittags häufig saß, obgleich sie keinen Schatten hatte. Um ihr diesen zu verleihen, ließ Herr Lambercier einen Nußbaum daselbst pflanzen. Das Einpflanzen dieses Baumes geschah mit großer Feierlichkeit; die beiden Pensionäre waren seine Pathen, und während die Grube zugeworfen wurde, hielten wir unter dem Gesange von Triumphliedern jeder den Baum mit einer Hand. Um ihn zu bewässern, wurde rings um seinen Fuß eine Art Graben gemacht. Eifrige Zuschauer dieses Begießens, bestärkten wir, mein Vetter und ich, uns täglich in dem sehr natürlichen Gedanken, es wäre schöner einen Baum auf eine Terrasse zu pflanzen, als eine Fahne auf eine Bresche, und wir beschlossen uns diesen Ruhm zu verschaffen, ohne ihn zu theilen, mit wem es auch wäre.
Zu dem Zwecke schnitten wir ein Steckreis von einer jungen Weide und pflanzten es auf der Terrasse, acht oder zehn Fuß von dem majestätischen Nußbaume. Wir versäumten nicht, um unsern Baum ebenfalls eine Grube zu machen; die Schwierigkeit war nur, uns das nöthige Wasser zu ihrer Füllung zu verschaffen, denn das Wasser kam aus ziemlicher Ferne, und man ließ uns nicht hinlaufen, um welches zu holen. Gleichwohl bedurften wir es durchaus für unsere Weide. Wir wandten alle Arten von List an, um uns einige Tage lang Wasser für sie zu verschaffen, und das gelang uns so wohl, daß wir sie ausschlagen und kleine Blätter treiben sahen, deren Wachsthum wir von Stunde zu Stunde maßen, überzeugt, sie würde, trotzdem sie noch nicht einen Fuß hoch war, nicht säumen, uns Schatten zu geben.
Da unser Baum uns so vollkommen in Anspruch nahm, daß er uns zu jeder geistigen Anstrengung, zu jedem Lernen unfähig machte und wir wie geistesabwesend waren, und da man, nicht begreifend, was in uns vorging, uns kürzer hielt als sonst, so sahen wir den verhängnisvollen Augenblick nahen, wo uns das Wasser fehlen würde, und waren in der Erwartung, unsern Baum vor Dürre eingehen zu sehen, völlig trostlos. Endlich brachte uns die Noth, die Mutter der Erfindsamkeit, auf einen glücklichen Einfall, um den Baum und uns vor einem sichern Tod zu bewahren, nämlich darauf, unter der Erde eine Rinne anzulegen, die der Weide heimlich einen Theil des um den Nußbaum gegossenen Wassers zuführte. Trotz all des Eifers, mit dem wir dieses Unternehmen betrieben, gelang es uns anfangs nicht. Wir hatten das Gefälle so schlecht angelegt, daß das Wasser nicht lief; die Erde stürzte ein und verstopfte die Rinne; die Oeffnung füllte sich mit Schlamm; alles ging verkehrt. Nichts machte uns muthlos: labor omnia vincit improbus . Wir legten unsere unterirdische Leitung und den Graben um die Weide tiefer, um das Wasser in Fluß zu bringen; aus Schachtelböden schnitten wir kleine schmale Brettchen, von denen die einen hinter einander flach hingelegt und andere von beiden Seiten im Winkel über sie gestellt, uns für unsere Leitung einen dreieckigen Kanal verschafften. Vor der Oeffnung brachten wir dicht neben einander kleine Holzstäbchen an, die eine Art Gitter oder Geflecht bildeten und den Schlamm und die Steine zurückhielten, ohne dem Wasser den Durchfluß zu verwehren. Die Erde, mit der wir unser Werk wieder sorgfältig bedeckten, traten wir recht fest, und an dem Tage, an welchem endlich alles fertig war, erwarteten wir mit Bangigkeit, zwischen Furcht und Hoffnung schwankend, die Stunde des Begießens. Nach Jahrhunderten des Harrens rückte endlich diese Stunde heran: Herr Lambercier kam gleichfalls wie gewöhnlich, diesem Akte beizuwohnen, während dessen wir uns beide hinter ihm hielten, um unsern Baum zu verbergen, dem er zum größten Glücke den Rücken zuwandte. Kaum war der erste Eimer Wasser ausgegossen, so sahen wir schon, wie etwas davon in unsere Grube lief. Bei diesem Anblick verließ uns die Klugheit; wir begannen Freudenschreie auszustoßen, die zur Folge hatten, daß sich Herr Lambercier verwundert umblickte, und das war schade, denn ihm wurde die große Freude zu Theil, wahrzunehmen, wie gut die Erde des Nußbaumes war und wie gierig sie sein Wasser einsog. Betroffen über die Entdeckung, daß es sich zwischen zwei Becken theilt, schreit er seinerseits verwundert auf, blickt sich um, bemerkt den Schelmenstreich, läßt sich schnell eine Hacke bringen, macht einen Hieb, schleudert zwei oder drei Stücke von unsern Brettchen in die Höhe und unter dem lauten Rufe »eine Wasserleitung! eine Wasserleitung!« führt er nach allen Seiten
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