Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rousseau's Bekenntnisse

Rousseau's Bekenntnisse

Titel: Rousseau's Bekenntnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Jacques Rousseau
Vom Netzwerk:
gleich dem Quadrate jedes seiner beiden Theile nebst dem doppelten Produkte beider Theile mit einander wäre, wollte ich es trotz der Richtigkeit meiner Multiplication nicht glauben, bis ich mir die Figur gemacht hatte. Die Schuld lag nicht etwa darin, daß ich keine Lust zur Algebra, wenigstens zu dem abstrakten Theil derselben, gehabt hätte, sondern darin, daß ich bei ihrer Anwendung auf den Raum ihre Beziehung zu den Linien sehen wollte, sonst verstand ich nichts mehr.
    Darauf kam das Latein an die Reihe. Es war für mich das schwerste Studium und dasjenige, in welchem ich nie große Fortschritte gemacht habe. Anfangs bediente ich mich der Methode von Port-Royal, allein ohne Erfolg. Von diesen barbarischen Versen wurde mir übel; sie wollten in meinem Ohre nicht haften. Ich fand mich unter dieser Unmasse von Regeln nicht zurecht, und wenn ich die letzte lernte, hatte ich alle vorhergehenden vergessen. Ein Studium, welches die Kenntnis vieler Wörter nöthig macht, ist für einen Mann ohne Gedächtnis nicht geeignet, und gerade um meine Gedächtniskraft zu erhöhen, trieb ich dieses Studium anfangs sehr eifrig. Endlich mußte ich es jedoch aufgeben. Den Satzbau verstand ich genügend, um einen leichten Schriftsteller mit Hilfe eines Wörterbuches lesen zu können. Diesen Weg schlug ich ein und nicht erfolglos. Ich verlegte mich auf das Uebersetzen, nicht schriftlich, sondern in Gedanken, und daran hielt ich mich. Mit der Zeit und durch Uebung habe ich es so weit gebracht, die lateinischen Schriftsteller ziemlich geläufig zu lesen, aber ich habe mich in dieser Sprache nie mündlich oder schriftlich ausdrücken können, was mich oft in Verlegenheit gesetzt hat, wenn ich mich, ich weiß nicht weshalb, zu den Gelehrten gerechnet sah. Ein anderer mit dieser Lernweise verknüpfter Uebelstand ist, daß mir die Prosodie fremd geblieben ist und noch mehr die Regeln des Versbaues. Da ich jedoch wünschte, ein Gefühl von der Harmonie der Sprache in Versen wie in Prosa zu bekommen, habe ich viele Anstrengungen gemacht, es dahin zu bringen, aber ich habe mich überzeugt, daß dies ohne Lehrer fast unmöglich ist. Nachdem ich den Bau des leichtesten aller Verse, des Hexameters gelernt, hatte ich Geduld, fast den ganzen Virgil zu scandiren und die Füße und die Quantität zu bezeichnen; wenn ich nun später über die Länge oder Kürze einer Silbe im Zweifel war, mußte mein Virgil ihn lösen. Dabei mußte ich selbstverständlich wegen der im Versbau gestatteten großen Freiheit allerlei Verstöße begehen. Aber hat der Autodidakt manchen Vortheil, so muß er sich dafür auch große Nachtheile und namentlich eine unglaubliche Mühe gefallen lassen. Ich habe das mehr wie irgend ein anderer erfahren.
    Kurz vor der Mittagszeit verließ ich meine Bücher, und wenn das Essen noch nicht fertig war, besuchte ich meine Freundinnen, die Tauben, oder ging in den Garten, um bis dahin in ihm zu arbeiten. Wenn ich mich rufen hörte, eilte ich sehr vergnügt und mit tüchtigem Appetit herbei, denn ich darf nicht unerwähnt lassen, daß es mir, wie krank ich auch immer sein mag, nie an Appetit fehlt. Wir speisten sehr angenehm, wobei wir, bis Mama fähig war zu essen, unsere Angelegenheiten besprachen. Zwei- oder dreimal in der Woche tranken wir bei schönem Wetter den Kaffee in einer kühlen, schattigen Laube hinter dem Hause, die ich mit Hopfen umrankt hatte und die uns während der Hitze großes Vergnügen machte. Wir brachten darin ein Stündchen unter Besichtigung unseres Gemüses und unserer Blumen zu und unterhielten uns von unserer jetzigen Lebensweise, deren Reiz wir dadurch nur um so lebhafter fühlten. Am Ende des Gartens hatte ich noch eine andere kleine Familie, nämlich Bienen. Ich verabsäumte selten, ihnen, und zwar oft an Mamas Seite, einen Besuch abzustatten; ihre Arbeit erregte mein Interesse; ich hatte eine ungemeine Freude daran, sie mit ihrer Ausbeute an Honig zurückkehren zu sehen, ihre kleinen Beinchen mitunter so beladen, daß sie Mühe hatten zu gehen. In den ersten Tagen machte die Neugier mich unvorsichtig, und sie stachen mich einige Male, aber späterhin wurden wir so bekannt miteinander, daß sie mich ruhig gewähren ließen, wie nahe ich auch an sie herankam; und so voll die Stöcke auch zur Schwarmzeit waren, so daß ich von Bienen ganz eingehüllt war und sie mir auf den Händen und in dem Gesichte saßen – nie hat mich eine gestochen. Alle Thiere sind mißtrauisch gegen den Menschen und nicht mit

Weitere Kostenlose Bücher