Roxelane
Rosska.
Alle kannten aber auch die Nagaika, die Tochter der Nagaischen Steppe, jene kunstvoll geflochtene lange Lederpeitsche mit hartem Griff. Sie zu erleiden machte zwar nicht ehrlos, aber selbst für die stärksten Männer war sie nicht selten tödlich.
Was anders aber als eine Auspeitschung mit der Nagaika konnte Rosska widerfahren, nachdem Pjotr mit klaffender Stirnwunde regungslos in der Sonne lag?
Jedem der Jungen war das klar, und jeder sah in Rosska nur noch das gezeichnete Opfer einer unbestechlichen Gerechtigkeit, das einem härteren Zugriff aufgespart werden müsse, als kleine Jungen ihn an ihr hätten verüben können.
Auch das Mädchen las das von den drohenden und zugleich rachsüchtigen Gesichtern der Knaben. Dennoch erhob sie sich mit größter Gleichgültigkeit gegen jedes Drohen.
Was man ihr angetan hatte, wirkte zu tief in ihr, als daß ihr trotziges kleines Herz noch Raum für Furcht gehabt hätte. Nicht einmal Haß empfand sie, einzig Genugtuung und Verwunderung.
Das Blut, das dem Pjotr aus der Schläfe sickerte, bewegte sie nicht. Sie fühlte das der Katze warm über ihre eigenen nackten Arme laufen, und so war es gut und richtig, daß auch das Blut des Mörders verströmte. Aber daß ein Toter so aussah, darüber verwunderte sie sich. Diese nach oben gedrehten offenen Augen! Fast nur noch das Weiße war zu sehen.
Und nun kamen die Großen hinzu, auch Männer darunter; denn Chortiza war ausnahmsweise voll von Männern, weil man noch in der Nacht nach dem Süden aufbrechen wollte, um dort den Lachs zu erwarten.
Jedes Jahr kamen die Männer zu diesem Zweck nach Chortiza. Aus der Steppe kamen sie, von der Awratynischen Höhe kamen sie und von weither. Chortiza war aber der Sammelpunkt. Hier wurde am Abend vor der Ausfahrt der Kotschewoi, der Befehlshaber, gewählt, der über die mehr als hundert Schiffe und einige tausend Pferde des Zuges zu gebieten hatte. Denn so ein Lachsfang war immer wie ein Heereszug, dieses Mal mehr als je, weil die Tataren Fehde angesagt hatten und daher äußerste Vorsicht geboten war.
Viele von diesen Männern standen jetzt da herum.
Die Weiber aber bejammerten den Pjotr, und alles machte der Marinka Platz, die sich kreischend über ihren Jungen warf und niemand sonst hinzuließ.
Das rothaarige Russenmädel habe ihr das Kind umgebracht, schrie sie, wegen einer elenden Katze habe es die Rosska getan, sie, die selbst eine Katze sei und in einen Sack genäht und ersäuft gehöre! Doch wie man auch auf das Mädchen eindrang, Rosska blieb reglos und stumm, auch dann noch, als der Haufe der zeternden Weiber kraftvoll auseinandergeschmissen wurde: Denko war erschienen. Außer Rosska wich alles vor dem gefürchteten Ataman Kurenoi.
Und dazu hatte man viele Gründe.
Denn Denko, den man auch den Grauwolf nannte, war nicht immer nur Dorfältester auf Chortiza gewesen. Mehr als einmal hatte er als Kotschewoi die Boulawa, den Kommandostab, auf einem Raubzug zur See oder einem Heeresritt in der Steppe getragen, wenn es eine Baranta, einen Tatarenüberfall, zu rächen gab oder wenn man auch nur Lust auf die Pferde und Weiber der Ungläubigen gehabt hatte wie auf das Geld und die Waren der Seestädte.
Das alles lag noch gar nicht so lange zurück.
Aber kurz nachdem der Botschafter des Großfürsten von Moskau bei den Porogen, den Stromschnellen des Dnepr nämlich, erschlagen worden war, hatte sich viel mit Denko geändert.
Man sagte, Denko habe es nicht leiden mögen, daß der Russe die freien Kosaken von den Polen ab- und zu Moskau habe hinüberziehen wollen, was aber nur zum Lachen war; denn die Kosaken unterhalb der Porogen, eben die Saporoger Kosaken, dienten nicht den Polen und überhaupt niemand als sich selbst. Die Saporoger waren nicht wie die Kosaken vom Orel im Vorfeld der Ukraine! Die vom Orel waren keine freien Männer mehr. Die hatten sich gegen ein bißchen Acker und Boden verkauft und ließen sich jetzt vom Polenkönig in Polks einteilen und Offiziere setzen. Die Saporoger dagegen zerrissen alle Briefe, die ins Land kamen, mochten sie vom Polenkönig oder vom Türkensultan in Konstantinopel sein. Und der Denko war immer einer der ersten, die dafür stimmten.
Und dann hatte Denko auch stets den Dolch und den Säbel geführt, und vieler Männer Leben war in seiner Hand gewesen, manches dabei erloschen.
Was kümmerte ihn also das Leben eines Mannes im Zobelpelz wie das des Bojaren?
Aber man sagte auch, ein Weib und ein Kind seien dabeigewesen, als der
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